Coronamaßnahmen: Trau, schau, wem?
Der Zweifel gehört zum Wesen von Wissenschaft. In der aktuellen Krise führt das die Entscheidungsträger in ein Dilemma. Umso wichtiger wäre Agieren mit offenem Visier. Ein Gastkommentar.
Der Zweifel gehört zum Wesen von Wissenschaft. In der aktuellen Krise führt das die Entscheidungsträger in ein Dilemma. Umso wichtiger wäre Agieren mit offenem Visier. Ein Gastkommentar.
Donald Trump ist so etwas wie die Endausbaustufe einer Haltung, die Fakten zunächst (oft wider besseres Wissen) in Zweifel zieht, unbedeutenden Details und Nebenaspekten übergroßes Gewicht verleiht, um dann das aus Unsicherheit und Überdruss entstehende Vakuum mit ihrer neuen Wirklichkeit zu füllen. Der ehemalige Berater Bill Clintons und spätere Chef der US-Behörde für Arbeitsschutz, David Michaels, füllt ein ganzes Buch („Doubt is their product“) mit entsprechenden Beispielen. Michaels belegt Fälle, in denen sich Wissenschafter in den Dienst von Konzernen stellen, einzig und allein um etabliertes Fachwissen (etwa über die Toxizität von einzelnen Chemikalien oder Zigarettenrauch) zu erschüttern. Die Öffentlichkeit ist hoch empfänglich für solche Botschaften, und ehe man sich’s versieht, steht (obwohl die Faktenlage eindeutig ist, es also objektiv „Richtiges und Falsches“ gibt) „Meinung gegen Meinung“. Als ob man „der Meinung“ sein könnte, der Mond sei aus grünem Käse.
Das Dilemma der Wissenschaft
Die Omnipräsenz von (oft auch bewusst herbeigeführten) Auffassungsunterschieden innerhalb der Wissenschaft hat generell zu einer der Fakten überdrüssigen Gesellschaft des „Nichtwissenwollens“ geführt, wie es der Schweizer Physiker und Philosoph Eduard Kaeser in der Neuen Zürcher Zeitung genannt hat. Und für diejenigen Gruppierungen, die der Wissenschaft und den Umsetzungen ihrer Erkenntnisse ohnehin generell skeptisch gegenüberstehen, ist die derzeitige Situation rund um Covid-19 die ultimative Bestätigung ihrer Haltung. Was die eine Koryphäe heute als dringend geboten darstellt, ist in den Augen der anderen überzogen und nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend. Beide Haltungen können (aus dem jeweiligen Blickwinkel) aber durchaus Berechtigung haben. Widersprüchliche Befunde sind wissenschaftlicher Alltag, sie sind Triebfeder des Erkenntnisgewinns – aber für Wissenschaftsskeptiker natürlich ein gefundenes Fressen, das Verdachtslagen wie „Hinter all dem steht ohnedies die von Freimaurern und Illuminaten durchseuchte amerikanische Ostküste“ zusätzlich befeuert.
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