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Gesellschaft ohne Ethos?

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Appell an Eigenverantwortlichkeit

Der Gegensatz war augenfällig - da äaß eine Gruppe eifrig diskutierender Menschen in der Idylle des Zwettler Stiftes und versuchte, die alte Frage nach der Sittlichkeit in unserer Welt des atomaren Wettrüstens neu zu lösen. Aber auch bei Spaziergängen in den Wäldern rund um den eindrucksvollen Klosterkomplex schallte es von Vokabeln wie Umweltvergiftung und Industrialisierung, Isolation und Ratlosigkeit: die 31. Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs war trotz oder gerade wegen des Infragestellens der ethischen Probleme der Gegenwart von Anfang an durch eine Atmosphäre des persönlichen Betroffenseins, des Aufbrechens eingeschliffener Denkmodelle geprägt.

Zu diesen gängigen Thesen gehören Allgemeinplätze wie: „Ethische Uber-legungen sind Privatsache“, „Moral kann in einer Gesellschaft des demokratischen Pluralismus nicht mehr allgemein verbindlich sein“, „Gegen ,die da droben' ist ohnedies kein Kraut gewachsen“. In der Sprache der Wissenschaft nennt sich derartiges „Trend zu Zweckrationalität und Wertautonomie“, und diese Tendenz ist laut Auskunft der Meinungsforscher im Zunehmen. Bei der Sommertagung des Akademikerverbandes referierte über diesbezügliche Untersuchungen der Leiter des Instituts für Kirchliche Sozialforschung in Wien, Dkfm. Hugo Bogensberger. Zwar sind gerade die methodischen Fragezeichen bei der Erfassung von Wertvorstellungen besonders hervorzuheben, aber die diversen Umfragen lassen doch ein vages Gesamtbild zu: in der Hierarchie der Wertvorstellungen liegen „familiäre Tugenden“ an der Spitze: Erfolg und Zufriedenheit der eigenen Kinder, ein glückliches Familienleben, Gesundheit - solche Ideale rangieren weit vor dem Streben nach Wohlstand oder dem Weiterkommen im Beruf.

Im religiösen Bereich liegen die Dinge ähnlich: Gottesglaube ohne weitere Verbindlichkeit für das eigene Leben wird weitestgehend akzeptiert.

Ganz anders ist die Ubereinstimmung bei einzelnen Geboten und Glaubenssätzen - etwa hinsichtlich der Unauflöslichkeit der Ehe. „Religion ist für viele zum lebensbegleitenden an Stelle eines lebensgestaltenden Prinzips herabgesunken“ - auf diese Formel lief die Bilanz des Meinungsforschers hinaus. Und diese These, die zweifellos jeder durch eigene Beobachtungen erhärten kann, stimmt auch mit dem statistisch erfaßbaren Absinken des regelmäßigen Kirchenbesuchs überein: 1945 gab es noch 40 Prozent praktizierende Katholiken in Österreich, 1975 nur noch 34 Prozent und seither hat sich dieser Trend zweifellos weiter fortgesetzt.

Solchen statistischen Bestandsaufnahmen des „Wert-Klimas in Österreich“ folgten Referate von Philosophen und Politologen. Dabei zog sich wie ein roter Faden die Ratlosigkeit der modernen Gesellschaftswissenschaften gegenüber der Frage nach dem Ethos durch die Vorträge und Diskussionen. Der Klagenfurter Gruppencfynamiker, Univ.-Ass. Jakob Huber, bezeichnete als „das klassische Dilemma unserer Zeit“ das Auseinanderklaffen des Gefühls der völligen Ohnmacht gegenüber den politischen, ökonomischen und technischen Ubermächten und der Einsicht in die Notwendigkeit, all die Probleme zu lösen, die wie das Phänomen des „Overkill“, die ungelöste Endlagerung der Kernenergie oder die Verknappung der Rohstoffe immer bedrohlicher werden.

Auf diese Schere des Auseinanderfallens der privaten Intimsphäre und der internationalen Politik ging der Wiener Philosoph Peter Kampits ebenso ein, wie der Tagungsleiter, Universitätsprofessor Heinrich

Schneider auf die Alibifunktion der aktuellen Grundwertediskussion zu sprechen kam. Aber auch der Generaldirektor des österreichischen Forschungsrates, Raoul Kneucker, trug zur Verunsicherung der Tagungsteilnehmer bei, wenn er auf die Eigen wertigkeit des Rechtssystems, auf die Flut

von Gesetzestexten, auf die zunehmende Bürokratisierung einging und eine Entwicklung skizzierte, die das Unbehagen des einzelnen Staatsbürgers noch weiter vergrößern dürfte.

Der Lösungsansatz wurde nach intensiven Debatten gemeinsam mit dem geistlichen Berater der Tagung, dem in Fribourg Dogmatik unterrichtenden Pater Christoph Schönborn erarbeitet: es kann nur die Wiederentdeckung der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen für das öffentliche Leben sein, muß „vorbildhaftes Leben“ in einer Zeit der Isolation sein.

Pater Schönborn forderte in diesem Zusammenhang aber auch ein stärkeres Zurückgreifen auf die Aussagen des Alten und vor allem Neuen Testaments im kirchlichen wie im gesamtchristlichen Raum. Denn allzuoft wird die Aussagekraft des Vorbildes Jesu Christi übersehen, werden die klaren Handlungsanweisungen der Bibel, die sich auf die Nächstenliebe ebenso beziehen wie auf die Uberwindung der Herrschsucht oder der Raffgier auf der Ebene der materiellen Werte, mißachtet.

„Die Kirche in Österreich etwa sollte sich noch mehr als jetzt auf die Randgruppen der Gesellschaft, auf die Unterstützung der Gastarbeiter und anderer Diskriminierter konzentrieren“, war ein konkretes Anliegen Pater Schönborns. Denn seiner Meinung nach ist nur so die Auf bruchstimmung der katholischen Kirche in Südamerika erklärbar, wo Priester und Bischöfe mitunter sogar ihr Hab und Gut verkauft haben und zu den armen und unterdrückten Menschen gezogen sind, und wo die Kirche wegen ihrer sozialen Aussage von den Mächtigen gefürchtet wird. Auch wenn bei uns ein solch extremer Opfermut nicht erforderlich ist - etwas von dieser Kraft der Kirche etwa in den Oststaaten oder in Lateinamerika sollte auch hierzulande spürbar werden. Vielleicht hat eine Sommertagung im romantischen Waldviertel derartige Impulse gegeben ...

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