Ecstasy-Esser im Höhenrausch

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Designerdrogen sind unter den illegalen Suchtmitteln zum öffentlichen Feind Nr. 1 geworden, mahnt die UNO. Der Konsum steigt stark, die Gewinne für das organisierte Verbrechen sind enorm.

"Aber wer sind diese Leute? Leser, ich melde es mit Bedauern, es ist dies eine sehr zahlreiche Klasse ..."

Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines englischen Opium-Essers, 1822

Zweihundert Jahre nach Thomas de Quincey ist zu den Opium-Essern die Gruppe der Ecstasy-Esser dazugekommen. 43 Millionen Menschen haben in den vergangenen zwölf Monaten Amphetamine und Metamphetamine illegal konsumiert, mahnt ein dieser Tage veröffentlichter UNO-Bericht. Weltweit werden schon mehr Designerdrogen konsumiert als Heroin und Kokain zusammen. Die UNO warnt vor schnelleren Alterungsprozessen sowie Alzheimer als Auswirkung des Drogenkonsums. Für die Jugendlichen im Salzburger Cave Club ist das keine Drohung. Deswegen sind sie ja da. Sie wollen in dieser Nacht vergessen: Alltag, Schule, Beruf. Forts. S. 2

Sandra arbeitet hinter Gittern. Sie fühle sich deswegen nicht eingesperrt und die Eisenstäbe hätten auch nichts mit Sicherheitsmaßnahmen zu tun, erklärt die Kellnerin im Cave Club. Dazu bestehe in diesem Kellergewölbe tief drinnen im Salzburger Rainberg auch gar kein Grund. "Unsere Gäste sind friedlich", beteuert Sandra. Und auch die Techno-Musik, die weiter hinten im Keller dröhnt, "ist überhaupt nicht aggressiv".

Ein Blick in den "Jugendkultur Guide" bestätigt die junge Frau mit dem spitzen Piercing in der rechten Nasenwand. "Techno", heißt es dort, "wird zu einer Kulisse, die einen geeigneten Rahmen schafft, um am Wochenende mit Freunden und Bekannten wieder einmal richtig abzufeiern und abzutanzen." Techno sei aber auch "Therapie". Raus aus dem grauen Alltag, raus aus langweiligen Verpflichtungen, raus aus den Problemen der Gesellschaft, raus aus dem Leistungsdenken. Elektronikklänge, Energy Drinks und chemische Drogen sollen diesen Ausstieg leichter machen. "Natürlich wird bei uns Ecstasy geschluckt", gibt Sandra freimütig zu, "aber auch nicht mehr als anderswo."

"E" als Synonym für Techno

"E" werde weiterhin als Synonym für Techno angesehen, sagt die Jugendforscherin Beate Großegger. Ungeachtet der Tatsache, dass sich Ecstasy weit über die Grenzen der Techno-Szene hinaus ausgebreitet hat und in x-beliebigen Lokalen von brav und angepasst wirkenden Durchschnittsjugendlichen konsumiert wird. "Drogenkonsum ist heute nicht mehr an eine Szene-Zugehörigkeit gekoppelt", weiß Großegger. Vor allem im Mischkonsum sieht die Leiterin der Forschungseinrichtung jugendkultur.at ein "Megaproblem" auf die Gesellschaft zukommen. Dabei lässt Großegger kein gutes Haar am schlechten Vorbild vieler Erwachsener: "Tabletten werden den Kindern von klein auf als Nothelfer präsentiert. Dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie selbst bei der ersten Gelegenheit zu Pillen greifen."

Das fehlende Problembewusstsein gegenüber den Gefahren von synthetischen Drogen kritisiert auch Howard Stead vom UNO-Büro zur Drogen und Kriminalitätsbekämpfung. Unter Steads wissenschaftlicher Leitung ist der gerade veröffentlichte erste globale Bericht der Vereinten Nationen über Ecstasy und Amphetamine erschienen. "Sie hören nicht zu und scheren sich keinen Dreck um unsere Warnungen", zeigt sich Stead enttäuscht über die Ignoranz vieler Menschen. Für Stead ist es traurige Gewissheit, dass die Gesellschaft überhaupt nicht gerüstet ist, um mit den Auswirkungen synthetischer Drogen fertig zu werden. Der UN-Wissenschafter verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Langzeitfolgen der Einnahme von psychoaktiven Substanzen und fragt: "Was macht eine Gesellschaft, wenn sie in 20, 30 Jahren mit Abertausenden Fällen von Alzheimer und anderen psychischen Krankheitsfällen konfrontiert wird?"

"Mind Tripper" nennt sich der Discjockey im Cave Club. Aber nur wenige lassen sich in dieser Nacht von seinen Platten zu einer Reise ins eigene Gehirn verführen. "Ende des Monats schaut es immer ein wenig schlechter aus", meint Sandra, "die Leute haben kein Geld mehr." Von einem generellen Abflauen des Techno-Booms möchte sie aber nicht sprechen.

"Polizei schaut aus wie wir"

Ein junges Pärchen nimmt vis-a-vis der Gitterstäbe Platz. Im Gegensatz zu ihrer Kleidung geben sie sich auf die Frage nach ihrer Einstellung zu Ecstasy außerordentlich zugeknöpft. "Die meinen, du bist ein Bulle", versucht sich die Kellnerin als Moderatorin. "Schau ich so aus wie ein Polizist?", fragt die Furche zurück. "Nein", beruhigt Sandra, "die Bullen, die hier rein kommen, schauen aus wie wir. Die sind oft erst 18 Jahre alt."

2.000 von 3.000 auf Ecstasy

"Erschreckend" nennt eine Drogenfahnderin, die namentlich nicht genannt werden will, ihren ersten Einsatz in einem Disco-Tempel: "Von den 3.000 Besuchern waren 2.000 auf Ecstasy." Die Arbeit der Polizei beschreibt sie als zweifache Strategie: Unabhängig vom Vorgehen gegen Kleindealer, konzentriere man sich verstärkt auf Strukturermittlungen. Die Kriminalisten versuchen, in die Strukturen der Organisationen einzudringen, um die Köpfe der Banden auszuschalten. Einen großen Erfolg zeitigte diese Taktik vor zwei Wochen, als die Polizei in einem Wiener Innenstadthotel 232.500 Ecstasy-Tabletten - die bisher größte auf einen Schlag gefundene Menge in Österreich - sicherstellen konnte.

Daneben werde weiterhin in Discotheken gefahndet. "Da fängt man bei einer 15-Jährigen an, die 30 Tabletten verkauft und versucht sich von Kleinstdealern über Kleindealer nach oben zu arbeiten." An einem gewissen Punkt, "steht man aber immer an", weiß die Polizistin aus Erfahrung. Meistens dann, wenn die Spur sich ins Ausland verliert und organisierte Kriminalität ins Spiel kommt.

Laut UNO-Bericht werden mit Designerdrogen pro Jahr 65 Millionen US-Dollar umgesetzt. Geringe Produktionskosten, die Gewinnspannen von 3.000 bis 4.000 Prozent ermöglichen, üben eine "ungeheure Anziehungskraft" auf das organisierte Verbrechen aus, zitiert Howard Stead aus seiner Forschungsarbeit. Kriminelle Organisationen würden sich in diesem Bereich auch mehr und mehr vernetzen und ihr Wissen austauschen, glaubt der UN-Experte.

Fette Gewinne für Mafia

Das organisierte Verbrechen hat auch dazu beigetragen, dass die früher auf Europa und Nordamerika beschränkte Designerdrogen-Szene heute zu einem weltweit grassierenden Problem geworden ist. Am höchsten sind die Missbrauchsraten derzeit in Ost- und Südostasien. Howard Stead nennt Thailand als ein Land, in dem vorbildhaft gegen synthetische Drogen vorgegangen werde. Mit rigorosen Grenzkontrollen gelinge es dort, der Verbreitung der Drogen wirksam Einhalt zu gebieten. Als zweites positives Beispiel verweist Stead auf die USA. Illegale synthetische Drogen würden in den Staaten auf vielfältige Weise bekämpft - ausgehend von polizeilichen Maßnahmen bis hin zur verstärkten Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit.

Pillentests abschaffen?

Die in Österreich bei großen Techno-Veranstaltungen angebotenen Pillentestprogramme, die Jugendlichen Gewissheit über die Zusammensetzung ihrer Tabletten geben, nennt Stead nur einen "Teil der Lösung" des Drogenproblems. Pillentests allein reichten auf keinen Fall aus, und würden nicht viel helfen, meint der UN-Beamte, wenn sie nicht mit anderen Maßnahmen gekoppelt werden. Die Niederlande, berichtet Stead, würden sich von den Pillentests wieder verabschieden. "Warum?" Stead: "Man darf nicht außer Acht lassen, welches Signal diese Tests auf lange Sicht aussenden." Ein wenig kryptisch formuliert, warnt der UN-Drogenforscher mit dieser Mahnung wohl vor einer Verharmlosung der Drogen durch die Pillentests (siehe zu dieser Kritik das Interview auf Seite 3).

Im Cave Club sind keine Spezialisten zum Check allfälliger Tabletten anwesend. "Die Tabletten sind schon tausendmal getestet", beruhigt ein Szene-Insider, "die Leute kümmern sich darum schon selber." Testflüssigkeiten, im Internet gehandelt und aus Australien bestellt, reichen aus, meint der junge Mann. Irene Ivan von der Präventionsstelle ChEck iT steht dieser vermeintlichen Sicherheit skeptisch gegenüber: "Solche Schnellverfahren geben keine genaue Auskunft über die Tabletten. Für einen exakten Test braucht es komplexe chemische Verfahren und teure Geräte."

Ungläubig ist Ivan auch, was eine zweite Aussage des Szene-Kenners betrifft. Demnach sollen mehr oder weniger begabte Studenten während der Nacht Tausende Ecstasy-Tabletten in Uni-Labors produzieren. In Österreich hält Ivan das für "sehr unwahrscheinlich". Bei einer von ChEck iT laufend durchgeführten Fragebogenstudie komme es außerdem fast nie vor, dass jemand - nach der Herkunft der Drogen befragt - "selbst gemacht" angibt. Andernfalls, meint die bereits zitierte Drogenfahnderin, würden die Pillen-Köche sehr schnell dort sein, wo Sandra im Cave Club jede Nacht ist: hinter Gittern.

Buchtipps:

JUGENDKULTUR GUIDE

Szenen, Trends und Analysen

Von Beate Großegger und Bernhard Heinzlmaier, öbv Verlag, Wien 2002,

brosch., 178 Seiten, e 18,

NO DRUGS, NO FUTURE

Drogen im Zeitalter der Globalisierung

Von Günter Amendt, Europa Verlag, Hamburg 2003, geb., 207 Seiten, e 18,-

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