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Seelentröster für Österreich

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Nun ertönen optimistische Stimmen von den Teilnehmern der UN-Kom- mission, die in Wien über globale Rauschgiftbekämpfung konferieren, nachdem wieder einmal eine Woche, gewidmet der Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs, durchs österreichische Land gezogen ist. Unmittelbare .Auswirkungen, . etwa in Form einschlägiger Konsumverminderung oder großangelegter. Werbekampa-, gnen gegen den „Seelentröster Nr. 1“, machten nicht von sich reden. Geredet wurde und wird zwar manches über und gegen diesen maßgeblichen Unterminierer der Volksgesundheit, doch blieb der Anschein mangelnder Ernsthaftigkeit beziehungsweise das Fehlen einer eindeutigen Kampfansage signifikant.

Wirkt es nicht etwas schizophren, wenn innerhalb einer kurzen Zeitspanne im Fernsehen das bekümmerte Gesicht des Kalksburger Genesungsheimleiters Univ.-Doz. Doktor Kryspin-Exner erscheint, Worte gegen die Gefahren des Alkohomiß- brauchs tönen, wenn gleichsam zur „Untermauerung“ dieser Aussage auf „alles Gute von M. M.“ hingewiesen wird und dann eine sonore Stimme in recht werbewirksamer Form suggeriert, daß so ziemlich jede Situation einen hochprozentigen „Uralt wert“ sei?

Von dem krassen Disproporz der Belangsendungen gegen und für den Alkohol ganz abgesehen, ist es müßig, dem kammerzorientierten Fernsehen mehr als Mitschuld an solch gefährlichem Humbug aufzuladen. Es handelt schließlich nicht anders als die meisten „opinionleader“ innerhalb der meinungsmachenden Massenmedien, deren Trabanten sodann treu und brav nach- oder gar abschreiben, um ja eine höchstmögliche Breitenwirkung zu erzielen und sich aus Angst vor Leser-, Seher- oder Hörerschwund davor hüten, vom vorgeschriebenen Trend maßgeblich abzuweichen. Für diesen Trend sei nur das Beispiel des Hamburger „Spiegel“ angeführt, dessen Titelgeschichte „11 Milliarden D-Mark vertrunken“ drei Jahre zurückliegt, der jedoch heuer bereits dreimal mit Berichten über Haschisch und harte Drogen groß auf machte. Ohne eine hochprozentig gefüllte Hausbar gilt die hiesige Wohnung als unvollständig eingerichtet, ein Repertoire verschiedener Jhelums zwecks Inhalierung von Haschisch wird nach geltendem Suchtgiftgesetz staatsanwaltschaftliches Interesse sowie mitbürgerliche Empörung hervorrufen —, die soziologische Unterscheidung läuft der medizinischen nahezu konträr. Während „Sorgenbrecher“ Alkohol nach dem heutigen Stand der Medizin eindeutig als Suchtgift anzusprechen ist, fehlt eine solche übereinstimmende Meinung der Experten bezüglich des Haschisch. Die Mehrzahl der Fachleute neigt zur Zeit dazu, dem asiatischen Schwarzdeviisenbringer unmittelbar suchterzeugende Fähigkeit ab- zuerkenneh und sieht seine Gefährlichkeit hauptsächlich darin, häufig als Sprungbrett zu den harten Drogen — wie Heroin, Opium, Mescalin, Morphium usw. — benutzt zu werden. Und bei Genuß dieser Stimulantia kommt es immer zur Sucht.

Die Experten der WHO erkannten die Sucht unschwer als einen „Zustand der psychischen und/oder körperlichen Abhängigkeit vom Suchtmittel“ wobei „Absetzen des Suchtmittels Abstinenzerscheinungen zur Folge hat und die Sucht durch eigenen Entschluß oder Willen nicht überwindbar ist“. Ebenso kamen die Gelehrten über die Abgrenzung der Sucht von Gewohnheit — einem herkömmlichen, selbstverständlichen oder oft wiederholten Tun — und Mißbrauch — dem qualitativ oder quantitativ vom Durchschnitt abweichenden Gebrauch einer Droge oder eines Genußmittels — überein. Auch die Einteilung der suchtbegünstigenden Faktoren in individuelle, psycho-soziale und pharmakologische bereitete keine nennenswerten Schwierigkeiten.

Nicht nennenswert sind allerdings auch die spärlichen Erfolge in Österreich, die in der praktischen Bekämpfung der Suchtgifte erzielt werden konnten. Weder Sondersteuern, enorme Zollbelastungen und am allerwenigsten eine totale oder doch weitgehende Prohibition vermochten — wie in den USA vor 40 Jahren und in Schweden heute — den Siiegeszug von „König Alkohol“ zu stoppen, ebensowenig wie drakonische und teilweise antiquierte Strafbestimmungen im Verein mit Aufklärungskampagnen dem rapiden Vormarsch der nicht etablierten Suchitgifte Einhalt gebieten können. Nirgendwo ist die medizinische Betreuung und Behandlung undankbarer als auf dem Gebiet der Entwöhnung von Alkohol, Nikotin und Drogen. Die Rückfallshäufigkeit ist erschreckend hoch — auch ohne Berücksichtigung der ansehnlichen Dunkelziffern, über deren Höhe die Expertenmeinungen oft beträchtlich auseinanderklaffen. Und Prävention wie Therapie scheinen auch in Österreich in einer hoffnungslosen Sackgasse zu stecken.

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