Raki - © Bild: Rainer Messerklingerr (Unter Verwendung eines Fotos von iStock/serts

Türkei: Würde ein Machtwechsel friedlich vonstatten gehen?

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Zwar ist nicht mit Fälschungen im großen Stil zu rechnen, dennoch sind die Wahlen doch nur einigermaßen demokratisch.

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Zwar ist nicht mit Fälschungen im großen Stil zu rechnen, dennoch sind die Wahlen doch nur einigermaßen demokratisch.

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Manchmal, gerade wenn politische Kommunikation nicht eindeutig ist, vermag sie ihre Adressaten besonders zu beeindrucken. Das zumindest gilt für die jüngste Kampagne eines türkischen Spirituosenherstellers, die vor allem bei Kritikern von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf Zuspruch stößt. „Wie wirst du feiern, wenn der Tag kommt?“ Diese Frage stellen sich in einem in sozialen Netzwerken veröffentlichten Video junge und alte Menschen. Sie fangen an zu tanzen, schwenken türkische Fahnen – und trinken Raki, den türkischen Nationalschnaps.

Der Clip richtet sich zuvorderst an die türkische Auslandsgemeinde. Werbung für Alkohol ist in der Türkei verboten. Zu sehen sind etwa Bilder aus Deutschland, wo die meisten Auslandstürken leben. Eine Frau antwortet denn auch auf obige Frage hin mit den Worten: „Ich werde nach Hause gehen.“ Ist es eine Anspielung auf die vielen jungen Türken, die in den vergangenen Jahren wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation und einer konservativen Gesellschaft, die sie als immer einenge der empfinden, ihre Heimat verlassen haben?

Dass ein solches Video unmittelbar vor den türkischen Parlamentsund Präsidentschaftswahlen am 14. Mai veröffentlicht wird, legt den Verdacht nah, dass seine Macher eben jene Wahlen im Sinn hatten, obwohl weder Politiker- noch Parteinamen in ihm auftauchen. Erst zum Ende des zweiminütigen Films heißt es, es gehe um den türkischen Nationalfeiertag, den Tag der Republik vom 28. auf den 29. Mai – an dem schließlich auch gefeiert werden soll

Günstlinge als Unwägbarkeit

Was die Verantwortlichen im Sinn hatten, lässt sich nicht eindeutig sagen. Dass das Alkohol-Video von vielen türkischen Oppositionellen für sich interpretiert wird, ist indes unbestritten. Denn es transportiert eine Wechselstimmung, die es so in der Türkei tatsächlich gibt. Nie zuvor war der Dauerherrscher Erdoğan derart angezählt. Ein Machtwechsel ist auf einmal denkbar. Sechs Oppositionsparteien haben sich gegen ihn zusammengetan. Ihr gemeinsamer Kandidat ist Kemal Kilicdaroglu von der kemalistischen CHP. Umfragen zufolge dürften er und Erdoğan in einer zweiten Wahlrunde am 28. Mai aufeinander treffen. Der Ausgang ist vollkommen ungewiss.

Dass Erdoğan, der über zwanzig Jahre als Ministerpräsident und später als Präsident mehr und mehr Macht auf sich vereinen konnte, speziell nach einem Verfassungsreferendum 2017, ausgerechnet durch einigermaßen demokratische Wahlen in Bedrängnis kommen könnte, hätten vor einiger Zeit wohl nur die wenigsten Beobachter gedacht. Zwar ist nicht mit Fälschungen im großen Stil zu rechnen, dennoch sind die Wahlen doch nur einigermaßen demokratisch. Denn fair sind sie nicht, nicht in einem Staat, dessen Institutionen dermaßen vom 69-jährigen Erdoğan und seiner AKP dominiert werden. Deswegen ist es unklar, ob die Opposition sich auch so freuen kann, wie die Menschen in dem Raki-Video.

Die große Frage ist, ob eine Wahlniederlage Erdoğans auch zu einem Sieg der Opposition führen würde. Die schlechte wirtschaftliche Lage der Türkei, die schockierend hohe Inflation, die im vergangenen Jahr teils höher als achtzig Prozent lag und derzeit immer noch knapp unterhalb von 44 Prozent liegt, Repressionen gegen Andersdenkende, der Frust vieler junger Türken darüber und nicht zuletzt das Erdbeben Anfang des Jahres, das Zehntausende von Toten forderte; viele Türken machen die Regierung für Baumängel verantwortlich: All das spricht gegen den Staatschef. Dass es bei einer Wahlniederlage jedoch zu einer friedlichen, geordneten Machtübergabe kommen wird, ist nicht ausgemacht. Nicht nur dürfte sich Erdoğan an sein Amt klammern, Gerichte, Sicherheitsdienste: Überall finden sich AKP-Leute und Erdoğan-Günstlinge. Auch sie, nicht nur Erdoğan, müssten eine Wahlniederlage anerkennen. Sonst drohte der Türkei Chaos. Der Ausgang ist offen.

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