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Eine Kuh unter der Käseglocke
In der Nacht, so sagt man, sind alle Kühe schwarz. Nicht in Prigglitz. In dem idyllischen Dorf im Sem-meringgebiet (nahe von Gloggnitz) gibt es eine ganz besondere Kuh: Eine lebensecht aus Holz geschnitzte, die -obwohl unter einer riesigen Käseglocke - in Eintracht mit ihren Artgenossen auf der Wiese steht. Dieses Objekt, das ein Südtiroler Bildhauer vor Ort geschaffen hat, trug zur Berühmtheit der 600-Seelen-Ge-meinde bei: Prigglitz erhält heuer -neben Berlin, Hannover, Münster und Goslar - den Hugo-von-Tschudi-Award „für das aktive Interesse der Bürger an der Kunst im öffentlichen Raum”.
Mit der Auszeichnung untrennbar verbunden ist das Künstlerpaar Charlotte und Johannes Seidl. Die beiden führen seit 1989 in dem auf einer Anhöhe über dem Ort gelegenen Gut Gasteil eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen. Auch die 18 Hektar Grund, die sie selbst für biologische Landwirtschaft nutzen, sind regelmäßig Schauplatz der Kunst. Seit 1992 nämlich laden die Seidls alle zwei Jahre internationale Künstler zur Ausstellung „Kunst in der Landschaft” ein. Einzige Auflage für den Künstler - bevor er ans Werk gehen darf - ist es, für einen bestimmten Platz ein Konzept zu entwickeln, das auf seine Umweltverträglichkeit und Witterungsbeständigkeit hin diskutiert wird. Die Fgebnisse können dann Besucher zwischen Mai und Oktober erwandern. Damit die Landschaft nicht zu einem „Skulpturenfriedhof” mutiert, werden die Kunstwerke nach und nach wieder entfernt, oder es findet sich ein Käufer.
„Bei fünfzig Prozent der Leute, die zu uns kommen, leisten wir Aufklärungsarbeit in Sachen Kunst”, verrät Charlotte Seidl. „Die anderen fünfzig Prozent werden mit Natur konfrontiert, ohne daß sie es eigentlich geplant haben.” Dabei drängt sich weder das eine noch das andere auf. Man kann auch nur auf einen G'spritzten vorbeikommen oder sich an den Produkten der heimischen Biobauern laben. Und doch tönte es anfangs, daß es „anachronistisch” sei, Kunst am Land auszustellen. So gelang es erst 1994 - mit besagter Kuh - die Herzen der Prigglitzer zu erobern. Für ihren Ankauf wurde sogar eine Spendenaktion gestartet.
Die konsequente Arbeit der Seidls jedenfalls wird mit zunehmender Akzeptanz und regem Interesse belohnt. Sie sind seit 1968 als freie Bildhauer und Keramiker tätig. Ihr kulturelles Engagement begann bereits in den Siebzigern. „Damals, in Maria Schutz, als Elfriede Jelinek zu einem symbolischen Preis las”, schwärmen die beiden, während sie schon das nächste Projekt planen: Wer sich etwa in die Werke von Christian Ludwig Attersee vertiefen will, soll sich in einem bewußt spärlich möblierten „Künstlerzimmer” einmieten können.
Bis 19. Oktober ist in der Galerie die Ausstellung „Spannungsfelder. Maria Moser, Lotte Seyerl, Eva Sarközi-Pusztai” zu sehen. In der Landschaft kann man größtenteils noch die Kunstwerke von 1996 erwandern.
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