Zerknittert, befleckt, durchbohrt, verbrannt

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"Miro - Später Rebell" im Kunstforum der Bank Austria in Wien stellt das Alterswerk des katalanischen Malers Joan Miro (1893 bis 1983) einer selektiven Auswahl von früheren Werken gegenüber.

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"Miro - Später Rebell" im Kunstforum der Bank Austria in Wien stellt das Alterswerk des katalanischen Malers Joan Miro (1893 bis 1983) einer selektiven Auswahl von früheren Werken gegenüber.

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Die Surrealisten haben, wie man weiß, den Tod der Malerei verordnet. Ich will den Mord", schrieb Joan Miro 1930. "Die einzige Sache, die ich deutlich sehe, ist, dass ich zerstören will, alles zerstören will, was in der Malerei existiert. Ich hege äußerste Verachtung für die Malerei. Das einzige, was mich interessiert, ist der Geist selbst", brachte der katalanische Maler ein Jahr später zu Papier. Dass Joan Miro mit seinem Diktum von der "Ermordung der Malerei" erst im hohen Alter so richtig ernst gemacht habe - das ist die Grundidee der Ausstellung "Miro - Später Rebell" die derzeit im Kunstforum der Bank Austria in Wien zu sehen ist. Erstmals, wie betont wird, werden Werke aus den beiden letzten Lebensjahrzehnten Miros (1893 bis 1983) ausgewählten Arbeiten aus seinen früheren Schaffensphasen gegenübergestellt, insgesamt an die 60 Werke.

In der Tat ist Miros Spätwerk sehr umfassend und vielseitig. In einem Alter, in dem sich andere geistig zur Ruhe setzen, überschritt er weiterhin Grenzen, stellte sich neuen Herausforderungen, um der Wiederholung des bereits Bekannten zu entgehen. Das berühmteste Beispiel: die "Verbrannten Leinwände" (1973). Ein Acht Millimeter-Film zeigt den 80-Jährigen bei der Arbeit: Von Zorn und Wut erfüllt, schlitzt er fünf jungfräuliche Leinwände auf, bemalt sie mit roter und schwarzer Farbe, anschließend übergießt er sie mit Benzin und setzt sie in Brand. Nachdem er das Feuer gelöscht hat, bemalt er die Leinwände abermals, taucht sogar seine Schuhe in rote Farbe und trampelt auf ihnen herum.

Miro, dessen Kunstwerke zu jener Zeit bereits zu astronomischen Preisen gehandelt wurden, erklärte, "dass ich mir einfach das Vergnügen gönnen wollte, den Leuten, die in der Kunst allein ihren kommerziellen Wert sehen - all denjenigen also, die glauben und behaupten, dass ihre Werke ein Vermögen wert sind - einmal ,Scheiße' entgegenzurufen." Der Ruf wurde richtig verstanden: Von den fünf Toiles Brulees konnte er nur zwei verkaufen.

1920 kam Miro erstmals in die Künstlermetropole Paris. Zwar fühlte er sich stark der Dada-Bewegung verbunden, doch galt er bald als Surrealist. Indem er Figuren und Gegenstände zu Kürzeln uminterpretierte, gelangte er bald zu einer sehr persönlichen Symbolsprache: "Spuren, wodurch die Erscheinungen wahrgenommen werden können", wie der jahrelange Wegbegleiter Michel Leiris schrieb. Sterne und Kometen, Sonnen und Monde, Insekten und Vögel, Schnecken und Spinnen, Leitern und Räder, Flammen und Pfeile waren seit den Dreißiger Jahren immer wiederkehrende Symbole. Dualistisch war sein gesamtes Denken: Ursprünglichkeit und Zivilisation sowie Tradition und Moderne suchte er in seinem Werk zu vereinen. Er galt als naiv-kindlich, obwohl seine "halbautomatische" Schaffensmethode bei weitem nicht so spontan war, wie es die Surrealisten gerne gesehen hätten: Im Nachlass tauchten zahlreiche Skizzen auf, die belegten, wie sich Miro schrittweise von der gegenständlichen Abbildung zu seinen Symbolen hinarbeitete.

Später Rebell?

Zwar begann er ab 1929 mit der Herstellung von "Konstruktionen", in denen er objets trouvees wie verrostete Nägel, alte Korken oder Kieselsteine einbaute, aber letztlich, so scheint es, blieb er dem Medium Malerei treu: Neben den Fundstücken malte er Elemente seines gewohnten Formenrepertoires. Setzte also erst der alte Miro die Ankündigung des jungen in die Tat um, die Malerei ermorden zu wollen?

Die Ausstellung "Miro - Später Rebell" selbst ignoriert, was Miro-Kenner Hubertus Gaßner im Katalog erwähnt: Schon in den Dreißiger Jahren durchbohrte, zerfetzte und durchlöcherte der rebellische Katalane Bildträger "Während seiner kreativsten Perioden ging Miro mit einer Kombination aus dadaistischer Aggression und dem Pflichtbewusstsein eines Picadors auf die Unterlage los. Er schlug, kratzte, zerknitterte, verbrannte, befleckte, nähte, flickte, umwickelte, durchlöcherte und vernagelte sie - kurz, er bearbeitete seine Bildunterlage und beanspruchte sie bis an die äußersten Grenzen."

Davon ist in der Ausstellung nichts zu sehen. Warum? Heutzutage genügt es nämlich nicht, einfach eine Ausstellung zu machen, sondern es bedarf unbedingt eines "neuen Aspekts" - in diesem Fall jener des "späten Rebellen". Bevor eine Elite von ein paar Dutzend Kunsthistorikern und Kunstkritikern, die weltweit alle Miro-Ausstellungen der letzten 20 Jahre gesehen hat (oder zumindest so tut), die Nase rümpft - "Wie langweilig! Wo ist das Neue daran?" - müssen eher kunstgeschichtliche Fakten unter den Tisch fallen gelassen werden. So sind die Gesetze des zeitgenössischen Ausstellungsbetriebes.

Wer allerdings nicht in den Museen und Ausstellungshallen rund um den Erdball zu Hause ist, dem ist der "neue Aspekt" herzlich egal. Das in Wien gezeigte, zornige Spätwerk und die Werke aus Miros jüngeren Jahren, etwa "Tänzerin II" (1925), lohnen allemal den Besuch der Schau im Kunstforum.

Bis 4. Juni

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