15 Jahre nach seinem Tod werden die Konturen des ÖVP- und CV-Intellektuellen deutlicher.
Allerseelen 2006 markierte die 15. Wiederkehr des Todestages von Heinrich Drimmel, was schon vor zwei Jahren zu einem Symposion Anlass gab. Jetzt hat der Zeitgeschichtler Helmut Wohnout im Jahrbuch 9/10 des Vogelsang-Instituts einen Drimmel-Schwerpunkt gesetzt und die Symposionsreferate zusammen mit neuen Beiträgen herausgegeben. Ein Versuch, den langjährigen Paradedenker von CV und Volkspartei aus einem finsteren rechten Eck in einen trendigen ÖVP-Tabernakel zu hieven? Der instinktive Verdacht ist begründbar, aber unbegründet. Drimmel wird von zehn Autoren durchleuchtet und schon in Wohnouts Leitaufsatz erkennbar gemacht als der, der er in Wahrheit war: ein Zerrissener.
Aufgeklärt konservativ
Persönlich erinnere ich mich noch gut, als der damalige Unterrichtsminister (1954-1964) ein paar eifrige Neo-CVer zu einem Gedankenaustausch empfing und uns in unseren Reformplänen für die Paradeorganisation farbentragender katholischer Akademiker bestärkte. Wir waren angetan von seiner visionären Sprache und beeindruckt, dass ein Wertkonservativer in Strukturfragen so neuerungsfreudig sein konnte. Aber das war er ja auch als Unterrichts-, Wissenschafts-, Kultus-, Kunst- und Sportminister, worüber insbesondere Leo Leitner sachkundig referiert. Hochschulgesetz 1955 und Schulgesetze 1962, Konkordat und Protestantengesetz belegen die Reformpotenz eines (überwiegend) aufgeklärten Konservativen.
Die Wiederbelebung des stark beschädigten Konkordats war ein Bravourstück, das Drimmel nicht nur dem Koalitionspartner SPÖ, sondern auch dem Vatikan abzuringen hatte. Maximilian Liebmann lässt uns wieder einmal bestaunen, wie sich damalige österreichische Bischöfe wirklichkeitsfernen römischen Maximalforderungen couragiert entgegenstellten (Rücktrittsdrohung eingeschlossen). Tempora mutantur. Die Kirchentreue Drimmels zerbrach an dieser Herausforderung nicht, und das harte Ringen mit den Parteigegnern (die ihn achteten) machte den von Herkunft her überzeugten Sozifresser zu einem immer entschiedeneren Verfechter der Großen Koalition.
Gegner Friedrich Heers
Das war Drimmels andere Zerrissenheit, die weit in die Erste Republik zurückreichte. Sein Vater, ein Polizist, war in die Wirren des Justizpalastbrandes 1927 geraten. Er selbst wurde Mitglied der CV-Verbindung Nordgau und traf dort auf viele andere Zuwanderer aus den Ländern der Wenzelskrone (z.B. Kardinal Innitzer). Das rückte ihn großdeutscher Gesinnung näher als andere CVer, ließ ihn Cartellbrüder aus jener Windrichtung wie Theodor Veiter weitaus gnädiger beurteilen als "Linkskatholiken" wie Friedrich Heer, Wilfried Daim oder gar Josef Dobretsberger. (Dass Drimmel Heer mit Macht von der Uni Wien fernzuhalten versuchte, hätte deutlich angesprochen gehört.) Die Teilnahme an Veranstaltungen schlagender Korporationen wurde ihm später sogar im CV verübelt, dessen Verbandspolitik er ab 1948 entscheidend bestimmte.
In der Ersten Republik - Gerhard Hartmann schrieb den vielleicht spannendsten Beitrag - wechselten einander Drimmel und Josef Klaus mehrfach in Führungspositionen der katholischen Studentenschaft ab. Das verhinderte deren Entzweiung in den Sechzigerjahren nicht - aber auch nicht, dass aus beiden, die in der NS-Zeit nicht eingesperrt waren, Österreich-Patrioten wurden. Im Ständestaat verhinderte Drimmel eine Vereinnahmung des CV durch die Vaterländische Front, nach 1945 eine solche durch die Katholische Aktion, die ihrerseits einen Drimmel-Versuch scheitern ließ, sie zusammen mit dem CV unter ein gemeinsames organisatorisches Dach zu bringen.
Sein Zerwürfnis mit der Klaus-ÖVP der "Technokraten und Kybernetiker", der Verlust des von Drimmel zuerst eroberten Vizebürgermeisterpostens in Wien (Intellektualität genügt nicht: Busek fragen!), die von ihm in mehreren Furche-Artikeln beklagte "Linksdrift" des CV (ha-ha!) ließen den Autor Heinrich Drimmel in Bitterkeit altern. Zwanzig Jahre lang hatte er neben seinem Mentor Julius Raab Freund und Feind um Haupteslänge überragt.
Demokratie und Geschichte
Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Institutes zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich
Jg. 9/10, 2005/06
Hg. von Helmut Wohnout
Böhlau Verlag, Wien 2007
304 Seiten, brosch., € 27,80