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Pessimist als Prophet

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Respekt vor Heinrich Drimmel! Kein anderer unserer Bundesminister a. D. kann auf eine gleich ebenso fruchtbare wie mühsame Beschäftigung im „Altenteil" hinweisen. Seitdem sich der ehemalige Unterrichtsminister der Kabinette Raab und Gorbach mit seinen 1975 erschienenen persönlichen Erinnerungen als homme de lettres vorgestellt und bei Gleichgesinnten und Andersdenkenden Anklang oder zumindest Interesse gefunden hat, legt er Jahr für Jahr ein neues Buch vor.

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Respekt vor Heinrich Drimmel! Kein anderer unserer Bundesminister a. D. kann auf eine gleich ebenso fruchtbare wie mühsame Beschäftigung im „Altenteil" hinweisen. Seitdem sich der ehemalige Unterrichtsminister der Kabinette Raab und Gorbach mit seinen 1975 erschienenen persönlichen Erinnerungen als homme de lettres vorgestellt und bei Gleichgesinnten und Andersdenkenden Anklang oder zumindest Interesse gefunden hat, legt er Jahr für Jahr ein neues Buch vor.

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Daraus ist nun in der methodischen, aber auch geistigen Nachfolge von Bruno Brehm eine Trilogie und ein später eingeschobener Prolog („Wien 1848") geworden. Was mit „Gott erhalte" als Reminiszenz begann, unter dem Titel „Gott mit uns" seine Fortsetzung fand, schließt nun mit einer beinahe schon verzweifelten Bitte: „Gott sei uns gnädig". Wer Betrachtungen über „Die Welt von Josef Stalin bis Jimmy Carter" - mit anderen Worten: Über die Jahre von 1945 bis zur Gegenwart - mit diesem Stoßgebet einleitet, warnt seine Leser schon, bevor sie die erste Seite aufgeschlagen haben. Sie haben kein „Trostbuch" zu erwarten.

Heinrich Drimmel neigt - wir wissen es ja schon aus seinen vergangenen Büchern - zu einer pessimistischen Weltschau. Dazu kommt in einem immer steigendem Maß geradezu schon eine Phobie gegenüber allem, was im geistigen oder politischen Raum „links" steht oder von ihm ziemlich großzügig und eigenmächtig in diese Ecke verwiesen wird.

Heinrich Drimmels Weltbild kennt nur ein Schwarz und Weiß. Oder besser: ein Schwarz und Rot. Für die vielen Zwischentöne, welche das wirkliche Leben nun einmal gegenüber der Schulweisheit bietet, besitzt er kaum ein Sensorium. Mehr noch: Wer dieses aufzuzeigen sich bemüht, wer um stärkere Differnzierungen bittet, wer sich gegen „schreckliche Vereinfachungen" wendet, läuft Gefahr, seiner Sympathien oder auch nur eines gewissen Vertrauensvorschusses rasch verlustig zu gehen.

Dennoch: auch auf diese Gefahr hin, sei es wieder einmal gewagt.

Diesmal nimmt Drimmel sich vor allem die Vereinigten Staaten und ihre allzu kurzsichtigen Politiker aufs Korn. Vor unseren Augen entrollt er das Panorama einer düsteren Landschaft voll Verrat, Ahnungslosigkeit und ideologisch motivierten Kurzschlüssen. Die Zeit ist dazu günstig. Wer von uns hat nicht in den letzten Jahren und besonders in den letzten Monaten und Wochen mehr als einmal beredten Zweifel an den Führungsqualitäten der westlichen Supermacht bekommen?

Der Verfasser des vorliegenden Buches begnügt sich jedoch nicht, den Amerikanern einen Spiegel vorzuhalten. Was er bereitstellt, ist ein Zerrspiegel, der alle Projektionen verschiebt. Die drohende Abdankung der Führungsmacht des Westens wird als Ergebnis linksliberaler Machenschaften und zionistischer Interessenpräferenzen vorgestellt. Zweimal mußte der Rezensent die Stelle auf Seite 368 lesen, in der Drimmel allen Ernstes die These aufstellt, der überhastete amerikanische Rückzug aus Vietnam sei auf den Einfluß der .jüdischen Lobby" zurückzuführen gewesen, die den Vorrang der US-Außenpolitik für den Nahen Osten diktierte.

Solche Passagen, verbunden mit der allzu summarischen und allzu deutlich betonten Nennung jüdischer Namen im Zusammenhang mit nicht immer sauberen Affären kann sehr leicht bei primitiveren Lesern zu einer nur allzu bekannten Reaktion führen: „Die Juden sind an allem schuld, die Juden sind unser Unglück ..."

Wenn Heinrich Drimmel Abrechnung mit der Gedankenwelt der Neuen Linken hält, kann es dem Rezensenten recht sein. Für diese Wiedertäufer der Konsumgesellschaft waren von allem Anfang an seine Sympathien ebenso unterentwickelt wie für die im Gefolge aufgetretenen

linksextremistischen Sekten. Aug' in Aug' mit ihren Exponenten empfiehlt sich die Goethesche Weisheit, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen.

Drimmel zieht es jedoch vor, wie seinerzeit bei der Konfrontation mit jungen außer Rand und Band geratenen Bundesbrüdern vom CV, resignierend den Kopf zu schütteln und zu retirieren. Dafür schleudert er dann vom Schreibtisch seine Blitze.

Immer mehr und immer heftiger steigert sich der Verfasser hier jedoch ihn übermannen, immer dunkler die immer stärker werden die Ängste, die in übermannen, immer dunkler die Vorhänge, die er vor jeden Lichtstrahl zieht, der auch unsere Gegenwart beleuchtet. So bleibt am Ende wirklich nur die Beschwörung des nahen Antichrist und der apokalyptisch anmutende Ruf: „Wird in den Ängsten der Endsiebzigerjahre Gott gnädig sein?

Wo sind jene catalaunischen Felder, auf denen einmal ein Römer den Hunnen wehrte, als sie schon nahe dem Atlantik waren? Wo der König der Franken, der die in Frankreich eingedrungenen Araber zurückwarf über die Pyrenäen? Wo der Sinn für das Abendland, das, wie nie zuvor, zurückgeworfen ist auf seine engste Begrenzung? Ist alles nur mehr Platz für Kapitulation und Auslieferung und Unterwerfung? (S. 525)

In einem solchen gleichsam in Pa nikstimmung geschriebenen und vom Gefühl der Einkreisung bedrängten Buch darf es auch nicht wunder nehmen, zahlreiche Wiederholungen und Flüchtigkeiten im Text vorzufinden. Neben den von Drimmel seinerzeit schon in den politischen Sprachschatz eingeführten und inzwischen beinahe schon zu Tode gerittenen Begriff „Transito-rium" für die Gegenwart steht auch immer wieder das der Vulgärsprache entlehnte Wort von den „Kindermachern" (S. 176 u. a. m.) für „einfache Leute". Und der „klebrige Film" linker Ideologie, welcher angeblich das Denken unserer Gegenwart überzieht, ist geradezu zu einem neuen Lieblingsausdruck geworden (S. 178, 181 z. B.).

Nun aber zu den offenkundigen Errata: Der Krieg 1941 bis 1945 wird von der russischen Historiographie nicht als „Vaterländischer Krieg" (S. 131) bezeichnet. So hieß schon in einschlägigen Geschichtswerken der Kampf gegen Napoleon 1812. Gleichsam als Steigerung desselben, sprechen die Russen von der Abwehr der Hitler-Invasion als „Großem Vaterländischem Krieg".

Österreich kann schon aus geographischen Gründen unmöglich eine „westliche Schweiz" (S. 145) sein. Wenn wir schon bei der Geographie sind, darf auch daran erinnert werden, daß Stalin bestimmt nie von „unserer jetzigen Ostgrenze gegenüber Polen" (S. 154) gesprochen haben kann. Madame Nhu war nicht die Gattin des unter düsteren Umständen ermordeten südvietnamesischen Staatspräsidenten Diem (S. 299), sondern dessen Schwägerin. Der heute in der Emigration lebende slowakische Schriftsteller Ladislaus Mnacko wird taxfrei zum Juden ernannt (S. 267), dafür avanciert „ein gewisser Goldstücker" (S. 270) post festum zum Minister der ehemaligen tschechoslowakischen Exilregierung in London: eine späte Beförderung des Vorsitzenden des ÖSSR-Schrift-stellerverbandes der Ära Dubcek.

Aber wenn Drimmel einmal loslegt, gibt es eben kein Halten. Und dabei wären Besonnenheit und Mäßigung dem konservativen Prinzip,

für das der Autor vorgibt, das Panier zu erheben, viel adäquater. Eine solche Haltung ist nämlich keineswegs mit Leisetreterei, mit Feigheit oder Rückversicherung zu verwechseln.

Keine Feinde links? Unser Autor insinuiert allen, die ihm in seiner maßlosen Kritik und extremen Schwarzmalerei nicht Folge leisten können, diese Parole. Mitnichten! Wer sich aber stets gegen extreme Positionen nach links abgegrenzt hat, schätzt es auch, wenn eine Markierungslinie gegenüber rechts auch von mehr als konservativen Weggenossen und Gesprächspartnern eingehalten wird.

Heinrich Drimmel hat als Exponent eines katholisch-liberalen Kurses ins Kabinett Raab Einzug gehal-

ten. Er hat dort maßgebenden Anteil an dem Abschluß der Konkordatsverhandlungen und anderer wichtiger Materien, die nur auf dem Kompromißweg zu lösen waren, gehabt.

Er hat als Politiker Kompromisse keineswegs gescheut und Gesprächspartner der „anderen Reichshälfte" nie zurückgewiesen. Mehr noch: als Exponent des Koalitionskurses trat er gegen das für die Volkspartei letzten Endes verderbliche „Alles oder nichts" der „Reformer" an und verließ als Verlierer in dem Duell mit Josef Klaus in Klagenfurt hocherhobenen Hauptes das Feld.

Woher und weshalb heute diese In-transigenz? Sein Weg von der christlichen Demokratie zurück zu Positionen, ähnlich wie sie im katholischen Spektrum der Zwischenkriegszeit ein Charles Maurras und seine Aktion Fräncaise innehatte, beginnt sich im Nebel zu verlieren.

Pessimismus, Misantropie und vorgefaßte Urteile um jeden Preis? Gott sei uns gnädig!

GOTT SEI UNS GNÄDIG. (Die Welt von Josef Stalin bis Jimmy Carter). Von Heinrich Drimmel. Amalthea-Verlag Wien-München, 1979, 527 Seiten, öS 198,-.

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