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Gasparone
Die vorstraußische Wiener Operette eines Suppe und Millödser lebt noch ganz von der musikalischen Substanz und noch gar nicht vom Reißer. Gewiß, diese Substanz ist dünn, die kultiviertesten Einfälle täuschen darüber nicht hinweg, dennoch auf diesem Gebiet stark genug, einen Typus zu schaffen, der sich von der Offenbachschen Travestie lossagt und dichterisch wie musikalisch das österreichische Operettengesicht geprägt hat, dem der Walzerkönig freilich alsbald seine markanten Züge eingrub und die Entwicklung auf eine Bahn brachte, die sich in der Folge immer mehr dem Tanzschlager verschrieb. In Millöckers „Gasparone“ ist dies noch nicht der Fall, noch weniger sogar als in seinem älteren Bruder, dem „Bettelstudenten“. Jede Situation hat hier noch ihre Musik, jede Person ihre Andeutung von Charakteristik. Alles konventionell und verbindlich, aber auch Verbindlichkeit hatte damals noch ein wenig Herz. Daraus erwuchs der wärmende Humor, mit dem diese Partitur instrumentiert ist, die zwar wenig Lärm macht, dafür um so entzückender klingt.
Es ist den ungenannten Bearbeitern zu danken, daß sie diese Partitur (und auch das Textbuch) nicht willkürlich verändert haben, wie das heute fast aller Neuausgrabungen letzter Schrei ist. Geschicklichkeit und Fingerspitzengefühl, sagen wir ruhig: guter Geschmack hat sich gegen die Brutalität der .Modernisierer um jeden Preis“ zum großen Teil durchgesetzt. Nicht ganz; vor allem nicht in der Schlußszene, in der das (neuerfundene) Auftreten des wirklichen Gasparone Illusion, Geschmack und Humor noch im letzten Augenblick zu zerstören droht, was nur durch die Kürze dieser Szene nicht ganz gelingt. Im Gegensatz zu dieser Kürze ist die ganze — vierstündige — Operette zumindest um ein Viertel zu lang, ein bühnenunheilvolles Wort, wie seine Ableitungen länglich, langatmig, überlängt beweisen' Humor und Witz verlieren leicht den Atem, haben stets die Tendenz zum Epigramm in sich. Beweis: das Nichts von einer Rolle, aus der Mizzi Günther ihren Heiterkeitserfolg gewann, die zwei kurzen Auftritte, aus denen Peter Klein eine charakteristische Figur erfolgsicher hinstellt, und nicht zuletzt die ganz textlose (und erfolgreichste) Strophe seines Duetts mit Kurt Preger, dessen Podestä eine beneidenswert echte Operettengestalt ist, der noch Spuren aus der Zeit der seligen Opera buffa anhaften, da die heitere Muse eine ernste Kunst war. Auch in den Leistungen Ester Rethys und Hermann Uhdes kamen die ersten Silben der Operette, vielleicht sogar ein bißchen zu sehr, zu ihrem Recht, während Elfie Mayerhofers Lebhaftigkeit sich im Soubrettenhaften sichtlich wohlfühlt, ohne eine gewisse Farblosigkeit ganz überwinden zu können. Alles in allem: eine alte, nicht .vernewerte“ Operette — das Beste, was wir an “Neuem haben.
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