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Lohgesang auf unsere Zeit
Eine Sequenz
Brüder, preist auch unsere Tage! Bleibt nicht in der dürren Klage! Seht, die Welt liegt auf der Waage. Neu wird jede Wirklichkeit. Höret, schauet, greift die Dingel Reißt euch aus dem Hexenringe! Wagt die lang gelähmte Schwinge! Trägt sie euch, seid ihr befreit.
Liegt das Wort uns rein in Händen, Will die Weltverwirrung enden, Irrtum sich zur Wahrheit wenden Und zur Liebe die Gewalt. Aus dem Du wird Gott geboren, Und das Ich geht nicht verloren. In den Betern, in den Toren Wird die neue Zeit Gestalt.
Lob der Angst, die wieder reinigtl Lob dem Büttel, der uns peinigt, Dem Tyrannen, der uns einigt, Und die Freiheit uns entdeckt! Denn der Mensch, den sie vernichten, Wird in diesen Gottgerichten Endlich aus den Wahngesichten Feiler Schläfer auferweckt.
Ubersteht die uns mit fetten Lügen neu die Wahrheit retten! Häftlinge der eigenen Ketten Taumeln sie im Wortgespinst. Laßt sie geifern, laßt sie röhren. Sie bezwingen, sie betören Uns nicht, wenn wir sehn und hören. Die Gefahr wird zum Gewinst.
Weint nicht um verbrauchte Thesen! Im Zerfall wird uns das Wesen Aller Dinge zugelesen. Aus den Trümmern bricht der Geist. Lob den trunkenen Barbaren. Mitten im Gebrüll erfahren Wir die Stille und den klaren Sinn, der nach der Mitte weist.
Lob der Unruh, dem Gejage, Dem gehetzten Uhrenschlage! Lob dem überfüllten Tagel Preis der Stadt, die uns verschlingt! Nur die Aufgelösten finden Wieder sich zu echtem Binden. Aus den Wüsten, aus den Winden Weht Glut, die Gott niederzwingt.
Lob dem Ubergang und allen Starren Formen, die zerfallen! Nur die Hohlen, nur die Quallen Widerstehn der harten Hand. Lob dem Hunger, der entzündet, Auch dem Durst, der niemals mündet. Dem Getriebenen verkündet Gott im Traum ein neues Land.
Lob den Schreiern, die da schreien Und einander Lügen zeihen! Seht, schon sammeln sich die Freien Mitten in dem Ungefähr! Taube hören, Blinde sehen. Selbst die noch in Herden gehen Ahnen schon des Geistes Wehen. Und die Trommel lockt nicht mehr.
Lob den Maßen, den Gewichten, Allen, die da scheiden, sichten Und der Wahrheit sich verpflichten. Groß ist groß, das Kleine klein. Aus dem Bann der Menschenmäher, Aus dem Schwärm der Wortverdreher Treten wieder kühne Seher In die starke Ordnung ein.
Unsere Hoffart wird zerschlagen. Nur Ichsüchtige hör ich klagen. Unser ist, das Wir zu wagen Noch im letzten Feuerwind. Ob die Welt zu Ende sündigt, Lob dem Herrn, der uns entmündigt Und in Leiden uns verkündigt: Jeder Mensch ist Gottes Kind.
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