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Aus Nachbars Garten
Unter den verschiedenen unerfüllten Jugendträumen blieb auch der vom eigenen Gärtchen auf der Strecke.
Mittlerweile weiß ich: macht nichts, macht wirklich nichts, denn rundherum die Nachbarn haben Gärten; schöne, alte, mit vorwiegendem Bestand an Birn-und Frühäpfelbäumen. Und da sie Mitleid mit uns Gartenlosen haben, lassen sie uns freigiebig am Reichtum der Natur teilhaben.
Dieser Segen kommt Jahr für Jahr in mehreren Wellen. Derzeit rollen die Birnen und wir führen einen fast aussichtslosen Kampf, denn wir haben fünf birnbäumige
Nachbarn, die liebevoll an uns denken.
Sie schleppen Plastiksäcke, Obststeigen und Kübel an, sie kommen früh, mittags und am späten Nachmittag - und als Kriegskind fühle ich mich noch immer außerstande, irgendeinem eßbaren Geschenk zu widerstehen.
Dankbar lächelnd staple ich die Früchtchen an allen möglichen und unmöglichen Plätzen unserer Wohnung, sage alle Verabredungen ab, versäume meine Lieblingssendungen und denke nur noch in Birnen.
Ich schäle, rexe, rühre Marmelade, und schmeckt es fade, versuche ich, den Gerichten mit vielerlei Gewürzen und hochprozentigem Naß jenes illustriertengleiche, exotische Flair zu verleihen — meist vergeblich, denn bei genauerem Hineinschmecken stellt sich eben doch heraus: Birne bleibt Birne!
In erster Linie kommt Birniges natürlich auf den Familientisch. Ich wälze Kochbücher und lege tagelang all die unterschiedlichen Obstrezepte auf die süßen Ovalen um: Fleck, Knödel, Strudl, Mus, Torte, Radln, Essigfrüchte — alles beginnt bei uns mit B.
Wenn ich allerdings am dritten Tag zur Krönung des Birnenauflaufs als Nachspeise eine Belle Helene anbiete, ernte ich von den Meinigen nur mehr mitleidige bis feindselige Blicke.
Heute, nach Einbruch der Dunkelheit, werde ich birnenbewaffnet zu ebenfalls gartenlosen Freunden pilgern, einen weiten Bogen um die Spendergärten schlagend. Ich weiß jetzt schon, wie mich die Frauen dankbar lächelnd einlassen. - Ob sie nach meinem Abgang ihrerseits schnell die Adressen gartenloser Freunde im Geiste Revue passieren lassen?
Ich aber werde erleichtert nach Hause schlendern, diesmal entlang fruchtbeladener Bäume, und irgendwer wird bestimmt am Zaun lehnen und fragen, ob ich nicht ein paar Birnen mitnehmen möchte...
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