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Die Solidaritat Deutschlands

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Ein sehr merkwurdiges Schau-spiel, das eigentlich seit dem Beitritt Deutschlands zur UNO besteht, erreichte zum Jahresende 1992 seinen vorlaufigen Hohe-punkt: Die Diskussion um die Beteiligung deutscher Truppen an militarischen UNO-Aktionen, wie jetzt zum Beispiel in Somalia.

Fiir den osterreichischen Betrach-ter ist dies mehr oder minder unver-standlich, denn er kennt aus der jiin-geren Geschichte zahlreiche UNO-Einsatze des Bundesheeres. Wenn solche ein neutraler Staat leisten kann, warum dann nicht auch das vereinte Deutschland?

Nun liegt das zuerst einmal an einer der deutschen Eigenschaf-ten, namlich der Lust an der Prinzipienreiterei. Es geht um verfassungs-rechtliche Bestimmun-gen. Und da lohnt sich ein Vergleich zwischen dem Osterreichischen Bundesverfassungsge-setz (B-VG) und dem Deutschen Grundgesetz (GG).

In Artikel 79 B-VG werden die Einsatzmog-lichkeiten des osterreichischen Bundesheeres geregelt, und das ist im Prinzip die Landesver-teidigung, das heiBt der Einsatz innerhalb der oder an den Grenzen Osterreichs. Im Zuge einer Bitte der UNO im Jahr 1965 zur Entsen-dung eines militarischen Kontingents fiir eine , .Peacekeeping' '-Aktion in Zypern wurde ein eigenes „Bundesverfassungsgesetz iiber die Entsendung osterreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen” beschlossen, wonach laut Paragraph eins die Bundesregie-rung im Einvernehmen mit dem HauptausschuB des Nationalrates und unter Bedachtnahme auf die Neutrali-tat Osterreichs ermachtigt ist, solchen Ersuchen zu entsprechen. Damit ist die rechtliche Lage fiir Osterreich einwandfrei geklart.

Ahnlich wie der Artikel 79 B-VG so regelt im deutschen GG der Artikel 87a den Einsatzrahmen der Bundes-wehr, also auch im Prinzip die Lan-desverteidigung innerhalb oder an den Grenzen.

Damit aber Deutschland der NATO und der WEU beitreten konnte, und damit deutsche Streitkrafte im Rah-men dieser Bundnisse auch auBerhalb der Grenzen tatig sein konnen, wurde der Artikel 24, Absatz zwei geschaf-fen, wo es heiBt: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Si-cherheit einordnen.”

Einsatz auBerhalb der NATO

Im Zuge der deutschen Einigung wurde die Frage des Einsatzes der Bundeswehr auch auBerhalb der NATO zunehmend diskutiert. Die aktuellen Falje waren zweifellos der Golfkrieg, danach die Situation im zerfallenden Jugoslawien und zuletzt in Somalia.

Wahrend die Regierungsparteien (Union, FDP) eindeutig fiir eine er-weiterte Aktionsmoglichkeit der Bundeswehr pladieren, war die SPD anfanglich generell dagegen und ist erst seit einiger Zeit fiir „Blauhelm-Aktionen” zu gewinnen gewesen. Dariiber hinaus ist die SPD der Mei-nung, daB diese Einsatze im Grundgesetz geregelt werden miissen.

Die Einstellung der Bundesregie-rung hat sich aber in ihrer rechtlichen Beurteilung entscheidend gewandelt. Ging man friiher noch von einer Grundgesetzerganzung aus und warf der SPD vor, diese zu blockieren, so beruft man sich jetzt auf Artikel 24, Absatz zwei.

Nach Meinung der Bundesregie-rung sind die Vereinten Nationen (Kapitel VII UNO-Charta) ein „kol-lektives Sicherheitssystem”, dem sich Deutschland mit alien Rechten aber auch alien Pflichten angeschlossen hat. Insoferne ist die Bundesregie-rung berechtigt, dem Hilfeersuchen der UNO nachzukommen und einen Beitrag fiir dieses „kollektive Sicherheitssystem” zu leisten. Daher hat Bundesverteidigungsminister Volker Ruhe vor Weihnachten angekundigt, rund 1.500 Freiwillige der Bundeswehrnach Somalia zu entsenden, auch bewaffnete Einheiten zum Selbst-schutz.

Die SPD spricht von Rechtsbruch und hat das Bundesverfassungsgericht angerufen. Natiirlich ist die Absicht der Bundesregierung klar: Sie will sich von den Fesseln einer Verfas-sungsmehrheitsbeschafferin SPD, die in dieser Frage sehr „dogmatisch” operiert, losen und die Sache vom Verfassungsgericht klaren lassen. Dort wird man entscheiden miissen, ob der Artikel 24 extensiv ausgelegt werden kann. Wenn ja, dann ware dieses „deutsche Problem”, das seine Wurzeln in der jiingeren Vergangen-heit hat, auch gelost, und Deutschland konnte sich den Vorwurf ersparen, in entscheidenden Fragen der interna-tionalen Solidaritat immer •bseits stehen zu miissen.

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