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Er wurde geboren in einer Zeit, in der die Spinner und Weber seiner Vaterstadt ihre Unabhängigkeit verloren, die Kluft zwischen arm und reich wuchs und ein großer Teil der Bevölkerung unter erbärmlichen Umständen lebte. Aber Rembrandt Harmensz. van Rijn entstammte dem wohlhabenden Bürgertum. Sein Vater, Härmen Gerritsz. van Rijn, ermöglichte dem sechsten seiner neun Kinder eine hervorragende Ausbildung, und der Leidener Meister Swanenburg war offenbar für Rembrandt nicht bedeutend genug, so daß er zum Abschluß seiner Lehrzeit noch für einige Zeit zu dem berühmten Maler Lastman nach Amsterdam geschickt wurde.

Wer sich nicht gerade auf Rembrandt spezialisiert hat, kann Band 37 der „dumont kunst-taschen-bücher“ über „Rembrandt — Leben und Werk“ nur mit Gewinn und Genuß lesen. Der Genuß resultiert aus der Kombination von Knappheit, Souveränität und sprachlicher Prägnanz der Darstellung. Bob Haak, der Hauptkonservator der Amsterdamer Städtischen Museen, hat sich einen guten Teil seines Lebens vorwiegend mit Rembrandt beschäftigt. Sein vorliegendes Dumont-Taschen-buch (132 Seiten, 65 Abbildungen, 16 Farbtafeln, öS 75.50), dem zwei Publikationen über Rembrandt im gleichen Verlag vorangingen, ist eine Erstveröffentlichung.

Gerade durch die Knappheit der Darstellung werden die Entwicklungslinien besonders deutlich — die Phasen im Schaffen Rembrandts, aber auch die Konstanten, sein Beharren auf persönlichen Auffassungen ohne Rücksicht auf Schwankungen der Mode, der er auch dort, wo sie ihm diametral zuwiderlief, etwa in seinem Hell-Dunkel-Prinzip, mir äußerst zögernd Konzessionen machte, ohne deshalb die Gunst seiner Gönner und des kunstverständigen Publikums zu verlieren.

Der verkannte Rembrandt, der vom Publikum fallengelassene, im Alter isolierte Rembrandt — gängige Klischees dieser Art werden von Haak als Romantizismen entlarvt und widerlegt. Rembrandt ist vielmehr ein Beweis dafür, daß das Kunstpublikum seiner Zeit bereit war, Können und Qualität auch dann zu akzeptieren, wenn die Eigenwilligkeit des Malers mit der Zweckbestimmung eines Auftrages in Konflikt zu geraten drohte. Bestes Beispiel dafür: Die „Nachtwache“, deren revolutionär Neues und deren künstlerische Bedeutung voll und ganz anerkannt wurdent obwohl man begreiflicherweise fand, daß gerade dieses revolutionär Neue die malerisch etwas stiefmütterliche Behandlung eines Teiles der auf dem Werk Verewigten bedingte. Denn damals überlebte der reiche Bürger nicht im Photo, sondern im Gemälde.

Rembrandt erhielt für einzelne Bilder Honorare, die dem Jahreseinkommen eines handeltreibenden Amsterdamer Bürgers entsprachen, und er wurde bis zum Ende seines Lebens mit ehrenvollen Aufträgen bedacht. Am privaten Unglück war nicht das Unverständnis seiner Umwelt schuldig, und die vielzitierte Versteigerung seines Eigentums war das Ergebnis einer Rettungsaktion, die ihm den Schuldturm ersparte, sozusagen ein Ausgleich statt des fälligen Konkurses, der den Verlust seiner Freiheit bedeutet hätte. Sein Ruf bei den Zeitgenossen hat darunter offensichtlich in keiner Weise gelitten.

Ein Glücksfall von einem Taschenbuch also, auch angesichts der Qualität der schwarz-weißen Abbildungen. Und die würdige Fortsetzung einer Reihe, die man drei Jahre nach ihrem Start nicht mehr missen möchte. Auch ihre frühen Nummern haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Schon der allererste Band, „Kunst und Computer“ von Abraham Moles, kann zu den Standardwerken seines Themas gezählt werden, der Zyklus von Aquarellen und Zeichnungen von August Macke, „Tunisreise“, war vordem nur in einer sehr viel teureren Ausgabe greifbar, wie überhaupt diese Buchserie dazu beiträgt, den Eintrittspreis ins Musee imaginaire zu senken — dies aber in keiner Weise auf Kosten der Qualität.

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