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Ein Rembrandt im Rubens-Jahr

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Immer mehr Menschen interessieren sich für Kunstgeschichte. Dadurch können Fachpublikationen, die bisher ein kleines Vermögen kosteten, in Großauflagen zum Preis von zwei bis drei Romanen hergestellt werden. Neuestes Beispiel dafür, was auf diesem Gebiet möglich ist: Die umfassende Publikation über Rembrandt als Zeichner und Radierer von Marianne Bernhard im Münchner Südwest-Verlag. Das zweibändige Werk enthält Abbildungen sämtlicher druckgraphischen Arbeiten von Rembrandt und eine repräsentative Auswahl aus seinem zeichnerischen Werk (620 Abbildungen bei insgesamt 2000 vorhandenen Blättern einschließlich aller Wiederholungen).

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Immer mehr Menschen interessieren sich für Kunstgeschichte. Dadurch können Fachpublikationen, die bisher ein kleines Vermögen kosteten, in Großauflagen zum Preis von zwei bis drei Romanen hergestellt werden. Neuestes Beispiel dafür, was auf diesem Gebiet möglich ist: Die umfassende Publikation über Rembrandt als Zeichner und Radierer von Marianne Bernhard im Münchner Südwest-Verlag. Das zweibändige Werk enthält Abbildungen sämtlicher druckgraphischen Arbeiten von Rembrandt und eine repräsentative Auswahl aus seinem zeichnerischen Werk (620 Abbildungen bei insgesamt 2000 vorhandenen Blättern einschließlich aller Wiederholungen).

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Ein großes Rembrandt-Werk für jedermann im Rubens-Jahr? Gerade der Rubens-Rummel sollte Rembrandt erhöhtes Interesse sichern, auch wenn er gerade kein rundes Jubiläum hat Denn Rubens war gerade 29 Jahre alt geworden, als Rembrandt auf die Welt kam - nicht weit entfernt von Rubens’ Geburtsort, aber in einer anderen Welt, denn Rembrandts Heimatstadt

Leiden - eine der ältesten holländischen Städte - hatte sich 1573/74, drei Jahre vor Rubens’ Geburt, heldenmütig gegen die Spanier verteidigt.

Ein Blick auf das Werk Rembrandts im Rubens-Jahr bedeutet das Schließen eines gewaltigen Bogens, denn beide Künstler gemeinsam verkörpern Aufstieg und Blüte der Künste in einer Epoche der Waffenruhe in einem vom Krieg entvölkerten Land, des Wiederaufbaues und des Aufstieges. Beide großen Maler verdienen Unsummen mit ihrer Kunst. Rubens verherrlicht den siegreichen Glauben, Rembrandt den erstarkenden, selbstbewußten Kaufmannsstand - wobei . Rubens freilich sein Leben lang ein geschickter Manager seiner selbst war, Rembrandt hingegen keine glückliche Hand für Gelddinge hatte.

Marianne Bernhard ist eine bewährte, äußerst seriöse Kunsthistorikerin, ihre (bei Rogner und Bernhard erschienenen) Publikationen über Dürer, Cranach, Callo, Friedrich und andere graphische Lebenswerke sind in bester Erinnerung. Auch ihre Publikation des Rembrandtschen graphischen Werkes macht, gerade durch die Beschränkung auf diesen Schaffensbereich eines Malers, Rembrandts Malerei wesentlich besser verständlich. Wobei allerdings Rembrandt einen erheblichen Teil seines Einkommens aus seinen Radierungen bezog, die er nicht nur verkaufte, sondern aus kommerziellen Gründen oft auch zurückkaufte, und wohl nicht nur aus künstlerischen, sondern vermutlich auch aus Gründen der Marktpflege immer wieder veränderte, überarbeitete, variierte. Von vielen seiner Radierungen (andere graphische Techniken interessierten ihn nicht) gibt es eine Anzahl verschiedener „Zustände“ immer wieder veränderter Platten.

Mit großem Geschick schifft die Autorin zwischen den Riffen der zum Teil ja hart aufeinanderprallenden Fachmeinungen über die Zuschreibung einzelner Blätter hindurch, wobei sie im Zweifelsfalle voneinander Abweichendes einander gegenüberstellt. Ihre Biographie Rembrandts ist mit großer Einfühlung geschrieben, läßt aber der von der Kunstgeschichtsschreibung eher noch schlechter als von Rembrandt selbst behandelten

Geertghe Gerechtigkeit widerfahren. Geertghe mag durchaus das berechnende Wesen gehabt haben, das ihr so viele Rembrandt-Biographen so hart ankreiden, aber die Verurteilung der mit Rembrandt opferbereit und widerspruchslos zusammenlebenden Hendrickje Stoffels wegen „Hoererij“, wegen „Hurerei“ (eben wegen dieses Zusammenlebens) beweist, wohin Ei-

genschaften, die von Rembrandts Biographen soviel günstiger bewertet werden, damals führten.

Sehr aufschlußreich sind die in der Dokumentation zitierten Zeugnisse über Rembrandt, etwa dieses Ausspruches von Renoir: „Manche unter den schönsten Radierungen Rembrandts sehen aus, als ob sie mit einem Stückchen Holz oder einer Nagelspitze gemacht seien. Wagen Sie zu behaupten, daß Rembrandt nicht sein Handwerk verstanden habe? Ganz im Gegenteil. Weil er es gründlich verstand und weil er den Wert der manuellen Arbeit kannte, findet man bei ihm keines von den Werkzeugen, die sich heute zwischen Künstler und Ausführung schieben, so daß das Atelier eines modernen Graphikers dem Arbeitsraum eines Zahnarztes gleicht.“

Im übrigen gibt sich dieses Werk erfreulich schweigsam - es läßt den Künstler sprechen, der einer der berühmtesten Maler aller Zeiten war, dessen Radierungen da und dort noch immer allzusehr im Schatten seiner Malerei stehen, der sich oft aber am unmittelbarsten, zupackendsten, impulsivsten als Zeichner auszudrücken verstand - obwohl, oder gerade weil, die Handzeichnung zu jener Zeit keinen materiellen Wert darstellte und nur als Arbeitsmaterial des Künstlers diente. Die Schränke und Laden seines überschuldeten Hauses waren voll davon - aber die Zeichnung hatte keinen Markt. Sie ist daher auch von keiner Rücksicht auf einen solchen mitbestimmt.

REMBRANDT—DRUCKGRAPHIK, HANDZEICHNUNGEN in zwei Bänden. Von Marianne Bernhard. Südwest-Verlag, München, Band I (Druckgraphik), 512 Seiten, 418 Abbildungen, Band II (Handzeichnungen) 674 Seiten, 620 Abbildungen, öS 754,60.

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