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Pioniere der Demokratie

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Wer heute politisch etwas auf sich hält, bezeichnet sich als „Demokrat”. Einzelne Politiker haben sogar die „Demokratisierung aller Lebensbereiche” auf ihre Fahnen geschrieben. Dabei ist es noch vor 140 Jahren eher riskant gewesen, sich als Anhänger der Demokratie (zu deutsch „Volksherrschaft”) zu deklarieren. Man war den Behörden mindestens im gleichen Ausmaß suspekt, als würde man sich heute als „Terrorist” bezeichnen.

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Wer heute politisch etwas auf sich hält, bezeichnet sich als „Demokrat”. Einzelne Politiker haben sogar die „Demokratisierung aller Lebensbereiche” auf ihre Fahnen geschrieben. Dabei ist es noch vor 140 Jahren eher riskant gewesen, sich als Anhänger der Demokratie (zu deutsch „Volksherrschaft”) zu deklarieren. Man war den Behörden mindestens im gleichen Ausmaß suspekt, als würde man sich heute als „Terrorist” bezeichnen.

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Die Tätigkeit und den geistigen Hintergrund solcher suspekter Personen untersucht derzeit der Innsbrucker Historiker Professor Helmut Reinalter mit einem Forscherteam im Rahmen des Projektes „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa von der Spätaufklärung bis zur Revolution 1848/49”. Ähnlich lautete auch der Titel einer internationalen Tagung zu dieser Thematik Ende Oktober 1984 im Volksbildungsheim „Grillhof” in Vill bei Igls. 45 Wissenschaftler aus acht europäischen Ländern nahmen daran teil.

Wie der Politikwissenschaftler Professor Anton Pelinka in Vill ausführte, wurzelten die demokratischen Bestrebungen einerseits in evolutionären, auf den Theorien von Locke und Montesquieu beruhenden, anderseits in im wesentlichen mit Rousseau verbundenen plebiszitären, revolutionären Konzeptionen. Demokratie sei weitgehend deckungsgleich mit Positionen der radikalen bürgerlichen Revolution, ja teilweise deckungsgleich mit dem Jakobinismus.

Am Begriff Jakobinismus, der auf den im Kloster St. Jacques bei Paris tagenden Jakobiner-Klub zurückgeht und durch die Auswüchse der Französischen Revolution in Verruf kam, schieden sich schon damals die Geister.

Dazu Professor Reinalter: „Den Akten der österreichischen Jakobiner kann entnommen werden, daß sich diese selbst nie als Jakobiner bezeichnet haben, sondern dieses Etikett von den Polizeibehörden verliehen bekamen, denen das Schreckgespenst des Terrors in Frankreich vorschwebte. Die Jakobiner in Österreich nannten sich häufig .Demokraten', worunter zum Beispiel der Steirer Franz Georg Dirnböck kritisch denkende Menschen verstand.”

Reinalter sieht auch in den — in Deutschland ebenso wie in Österreich — fließenden Grenzen zwischen Liberalen, gemäßigten und radikalen Jakobinern Probleme: „Daher sollen im Rahmen des Innsbrucker Projekts praktikable Arbeitskriterien für eine historisch exakte Einordnung der mitteleuropäischen Jakobiner entwickelt werden.”

Hand in Hand mit den demokratischen Bestrebungen jener Zeit gingen die ersten Ausformungen ideologisch-politischer Bewegungen, die Reinalter — unter Berufung auf grundlegende Studien von Fritz Valjavec — so charakterisiert: „Ihre einzelnen Stränge sind seit 1770 klar voneinander abgrenzbar: Der Frühliberalismus geht durch seine starken Reformbestrebungen über den Spätabsolutismus hinaus, die Demokraten fassen die revolutionäre Beseitigung des Spätabsolutismus ins Auge, während sich die konservative Bewegung im ausgehenden 18. Jahrhundert in eine

Ein Thema, an dem ein Forscherteam unter Führung des Innsbruckers Helmut Reinalter arbeitet, stößt weit über unsere Grenzen hinaus auf großes Interesse. ständische und absolutistische Richtung zu unterscheiden beginnt.”

Großes Augenmerk wird auch dem Vereinswesen dieser Zeit geschenkt. In Mitteleuropa vollzog sich die Aufklärung in drei Phasen, einer gelehrt-wissenschaftlichen, einer staatlich-praktischen und in einer literarisch-öffentlichen. Parallel dazu entwickelten sich die entsprechenden Sozietäten: die Gelehrtengesellschaften, die Freimaurerlogen, die patriotischen und gemeinnützigen Gesellschaften, der Illuminatenorden, die literarischen und Lesegesellschaften sowie Volksgesellschaften, aus denen die Jakobinerklubs hervorgingen.

In den Geheimbünden des späten 18. Jahrhunderts habe sich — so in Vill der Historiker Rolf Graber (Kreutzlingen) - eine Gegenöffentlichkeit mit eigenen Kommunikationsformen und Infrastrukturen entwickelt.

Weitere Schwerpunkte des Innsbrucker Forschungsprojektes sind:

# die Auswirkungen der Französischen Revolution auf Mitteleuropa,

# demokratische und liberale Protestbewegungen von der Restauration bis zur Revolution 1848/49,

# die Kontinuitätsproblematik. Es geht also darum, wie weit die unter den Schlagwörtern „Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit” zusammengefaßten Ideen der Französischen Revolution in Mitteleuropa verbreitet waren, in welcher Form sie nach 1815 weiterwirkten und ob hier eine Kontinuität festzustellen ist. Letztere ist dadurch deutlich nachzuweisen, daß Nachkommen der Jakobiner des späten 18. Jahrhunderts unter den bei Wartburg- (1817) und Hambacher (1832) Fest aktiven Burschenschaftlern und später bei den revolutionären Ereignissen von 1848/49 zu finden sind.

Hochinteressant sind auch die zahlreichen Aufrufe zur Revolution und die Umsturzpläne, die knapp nach 1789 in Deutschland und Österreich, und darüber hinaus, entstanden sind. Professor Reinalter: „Auch die ungarischen Jakobiner planten einen revolutionären Marsch nach Wien, um die Stadt auszuhungern und die Monarchie in eine deutsch-ungarische Föderation zu verwandeln.”

Auch der Rechtsstaat stand damals auf dem Prüfstand. Während Kaiser Franz II. plante, die österreichischen Demokraten den ordentlichen Gerichten zu entziehen, sie von einem Sondergerichtshof aburteilen und ihre Rädelsführer hinrichten zu lassen, betonten die Juristen, daß nur begangene Taten und nicht Gesinnungen bestraft werden dürften und eine Rechtsbeugung auch in einer außergewöhnlichen Situation nicht zugelassen werden könne. Der Kaiser gab nach, und die Angeklagten wurden vor ein ordentliches Gericht gestellt. •

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