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Weder Abgesang noch Vorspiel

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JAKOBINER IN DER HABSBURGER-MONARCHIE. Ein Beitrag zur Geschichte des aufgeklärten Absolutismus in Österreich. Von Denis S i 1 a g i. Wiener historische Studien, Band VI, Verlag Herold, Wien-München, 1962. 247 Seiten mit 4 Textabbildungen und 8 Tafeln. Preis 158 S.

Der anonyme Verfasser der 1842 in der Schweiz erschienenen Schrift „Der Jakobiner in Wien“ rief dem damals schon seit sieben Jahren toten Kaiser Franz I. im Hinblick auf die 1794/95 abgeführten Jakobinerprozesse die hohnvollen Worte in sein Grab nach: „Der Monarch, unter dem dieses politische Auto-da-fe Statt fand, war der gutmüthige Franz — was konnte mehr geschehen, wenn er ein Tyrann gewesen wäre?“ Und er gab mit diesem Urteil letztlich nur der in weiten Kreisen des In- und Auslandes herrschenden Meinung Ausdruck, daß die abgeurteilten „Jakobiner“ zufällige Opfer einer unter schwerem politischen Druck stehenden Rechtsprechung geworden seien, eine Ansicht, die vor allem aus dem von den Behörden über die Untersuchung und das ganze gerichtliche Verfahren gebreiteten undurchdringlichen Geheimnis erwuchs, da man annahm, der Grund des Schweigens liege in der Unmöglichkeit, hieb- und stichfeste Beweise für die Schuld der Verhafteten zu erbringen.

Diesen dichten Schleier hat nun Denis Silagi auf Grund umfassender archivali-scher Forschungen und im letzten Jahrzehnt von ungarischen Historikern veröffentlichter Materialien in der vorliegenden Arbeit restlos beseitigt, und zwar für den ganzen Fragenkomplex, obgleich er Zielsetzung und Tätigkeit der ungarischen „Klubbisten“, voran des Abtes Ignaz Joseph Martinovics, in den Mittelpunkt rückt und die Wiener „Jakobiner“ nur am Rande behandelt. Die Bedeutung des Buches Silagis gerade auch für die Beurteilung der Wiener „Jakobiner“ erhellt sich allein schon daraus, daß man bisher vielfach ihre einzige einwandfrei erwiesene Schuld in der Pflanzung eines Freiheits-bäumchens in der Brühl bei Mödling erblickt hat, eine von nur wenigen Männern mitgemachte Feier, bei der das von dem Platzoberleutnant Franz v. Hebenstreit „ganz im höchsten Grade des Revolutionsund Freyheitsgeistes verfaßte, zu Anzettelung staatsgefährlicher Aufwiegelung eingerichtete Eipeldauerlied“ gesungen worden war, während Silagi zeigen kann, daß die Tätigkeit der Wiener „Jakobiner“ durchaus nicht so harmlos war und sie zum Beispiel mitten im Krieg der französischen Regierung „den Plan einer neuen Waffe übermittelten, um den Feind gegen die österreichischen Heere zu unterstützen“.

Es hebt die Uberzeugungskraft der Darlegungen Silagis ungemein, daß er die Vorgänge, die für die Geschichte des Habsburgerreiches im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts kennzeichnend sind, vor einen breiten Hintergrund stellt, indem er die das geistige Leben beherrschenden, in der Aufklärung wurzelnden Ideen, ihre Einwirkungen auf die geheimen Gesellschaften, auf die Freimaurerlogen und den Illuminatenorden und das Aufkeimen des magyarischen Nationalismus in ihrer die Zeit formenden Kraft richtig erfaßt und wertet. Und das von ihm entworfene Bild der den Menschen des ausklingenden 18. Jahrhunderts eigenen politischen Gedankenwelt gewinnt noch an Plastik und Farbe, weil er sie an dem Gegensatz der konservativen Einstellung der die Regierung stützenden Kreise und dem fortschrittlichen Radikalismus der stärksten oppositionellen Persönlichkeit, eben des Abtes Martinovics, eindrucksvoll darzustellen vermag; allerdings lassen die schweren charakterlichen Mängel, die Martinovics' politische Haltung immer wieder sachlich unbegründeten Schwankungen unterwarfen, diesen zweifellos sehr vielseitigen begabten Mann eher als einen wilden Ehrgeizling denn als den Vertreter der politisch und •ozial benachteiligten Bevölkerungsschichten schlechthin erscheinen.

Das Kernproblem der „Jakobiner“ in der Habsburger-Monarchie, das aus der Tat-

sache erwächst, daß die revolutionäre Bewegung des Jahres 1794 nicht als „Abgesang des aufgeklärten Absolutismus und nicht als Vorspiel späterer freiheitlicher Entwicklung“ angesehen werden kann, sondern sich „als ein mißgeleiteter Ausläufer der geheimen Reformpläne Kaiser Leopolds II.“ darstellt — dieses Problem vermag Silagi dank seiner tiefgreifenden Forschungen, deren Ergebnisse er zum Teil bereits in seiner 1961 erschienenen Arbeit, „Ungarn und der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II.“, vorgelegt hat, vollkommen zu klären. Er ist dank des von ihm erarbeiteten reichen Quellenmaterials in der Lage, zeigen zu können, daß sich Martinovics, ungeachtet seiner revolutionären, vor der Anwendung von Waffengewalt gegen die Regierung keineswegs zurückscheuenden Pläne, durchaus nicht mit Unrecht „als eine Art politischer Testamentvollstreckers Leopolds II.“ fühlte, der, um die adeligen Stände aus ihrer beherrschenden Position zu verdrängen, einen Bund mit dem Bürgertum und dem Bauernstand angestrebt hatte.

Diese Erkenntnisse läßt natürlich die Frage der Schuld der „Jakobiner“ im

Habsburgerreich und der über sie verhängten harten Strafen in völlig neuem Licht erscheinen. Allerdings, die objektive Erwägung der Gesamtlage führt Silagi zu der eindeutigen Feststellung: „1794/95 wäre auch ein aufgeklärter Reformfreund an der Spitze der Monarchie kaum ohne Rückgriff auf das Notrecht ausgekommen“, ein Urteil, das das Einschreiten der franziszeischen Regierung zumindest grundsätzlich gerechtfertigt erscheinen läßt, wenn es gleich die Art ihres Vorgehens keineswegs von allen dagegen erhobenen Anwürfen entlastet; der Kaiser selbst aber, der freilich auf die Maßnahmen der Behörden keinen mildernden Einfluß nahm, steht gleichfalls staatspolitisch frei von der ihm bisher aufgeladenen Schuld vor dem Richterstuhl der Geschichte.

Die in allen Teilen auf quellenmäßig sicherer Grundlage beruhende Arbeit Silagis darf ohnehin als ein in seiner Bedeutung nicht leicht zu überschätzender Beitrag zur Geschichte der Donaumonarchie in der wichtigen Phase des Uberganges vom aufgeklärten Absolutismus zum fraiv ziszeischen System mit warmem Dank begrüßt werden.

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