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Realitätsverluste
Eigentlich sollte man über den Kabarettwitz der absurd vergriffenen Autobahn-Vignette im Stil von Herzma-novsky-Orlando oder Polgar schreiben. Eine komischere Satire auf Österreichs Beamte kann es kaum geben: zur Hauptsaison des ohnedies nachlassenden Ausländertourismus werden Mautkleber verordnet, die jedoch an den Grenzen oft gar nicht vorhanden sind. Dafür müssen die einreisenden Autotouristen Polizeistrafe zahlen. Deren Wut und überhaupt die Werbewirkung solch organisatorischer Glanzleistung kann sich jeder vorstellen. Diese Groteske läßt jedoch weit über diese Debakel selbst sehr weit und tief blicken. Die organisatorische Unfähigkeit, die in Osterreich epidemisch geworden zu sein scheint, herrscht zwar vor allem in staatsbürokratischen Bereichen, greift jedoch nach deren Modell erschreckend um sich. Nicht zuletzt deshalb, weil immer mehr Bereiche in Österreich mit dem Staat zusammenhängen. Staatsnahe Vereine, Verlage, Agenturen sind längst vom totalen Bealitätsver-lust angesteckt. Die staatlichen Verlage haben den rechtzeitigen Ausbau ihres Vertriebs in Deutschland, der Schweiz und auch in Österreich versäumt (ebenso die von staatlichen Subventionen lebenden unzähligen privaten Kleinverlage), dafür produzieren sie (gestützt auf diese Subventionen) vielfach bewußt am Leserpublikum vorbei, weil eine gewisse leserfeindliche Literatur vom kunstfördernden Ministerium besonders gestützt wird. Auf die Vignetten-Groteske muß man sehen, will man die tiefere Ursache so mancher anderen Absurdität in Osterreich verstehen: Wenn man hier nicht einmal imstande ist, die gesetzlich verordneten Autobahn-Vignetten ans Publikum zu bringen, wie sollen dann die österreichischen Meisterverleger geeignet sein, Bücher, die teilweise auch noch unlesbar sind, an freiwillige Käufer loszuwerden? Wenn in Osterreich die Politikergehälter sparend gesenkt werden sollen, kommen zuerst einmal (man hält es kaum für möglich) kräftige Erhöhungen für Bundeskanzler und Vizekanzler heraus. Die Privatisierung einer staatsnahen Bank soll mit deren Ankauf durch eine noch staatsnähere Bank stattfinden. Vom Staat ausgehend, verbreitet sich ein tragikomischer Bealitäts-verlust immer weiter und tiefer in private Bereiche, ja womöglich in die ganze Bevölkerung. Im Ausland mag man darüber lachen - für uns kann das noch bös enden.
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