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Ventile verstopfen

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In rascher Folge und zum Teil nebeneinander wurden in Prag und Brünn in der zweiten Juli-Hälfte und Anfang August Prozesse durchgeführt, die vor allem zwei Charakteristika besaßen: es waren echte politische Prozesse und es waren Intellektuellenprozesse. Dies ist um so bemerkenswerter, als bisher — auch von höchster Stelle — immer wieder erklärt wurde, es werde künftig keine politischen Prozesse mehr geben; bemerkenswert auch deshalb, weil man gleichzeitig auch immer wieder unterstrich, der Konsolidierungsprozeß sei abgeschlossen.

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In rascher Folge und zum Teil nebeneinander wurden in Prag und Brünn in der zweiten Juli-Hälfte und Anfang August Prozesse durchgeführt, die vor allem zwei Charakteristika besaßen: es waren echte politische Prozesse und es waren Intellektuellenprozesse. Dies ist um so bemerkenswerter, als bisher — auch von höchster Stelle — immer wieder erklärt wurde, es werde künftig keine politischen Prozesse mehr geben; bemerkenswert auch deshalb, weil man gleichzeitig auch immer wieder unterstrich, der Konsolidierungsprozeß sei abgeschlossen.

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Relativ unhomogen ist der Kreis der Angeklagten, es waren vor allem Historiker, wie etwa Jan Tesaf oder auch Karel Bartosek, von dem etwa die Bände „Prager Aufstand 1945“ oder „Die Amerikaner in Westböhmen 1945“ stammen; dann der Soziologe Rudolf Battek, vor allem als prominenter Mann des gehaßten „Klubs der engagierten Parteilosen“ bekannt; Jifi Müller war führender Funktionär des inzwischen verbotenen Hochschülerverbandes; Karel Kyncl ist ein bekannter Journalist, der noch 1969 aus den USA in die Tschechoslowakei zurückkehrte; Jaromir Dus ein Pfarrer der evangelischen Kirche, die jetzt Brüderkirche genannt wird; unter den mittleren Parteifunktionären war es vor allem Jifi Litera, der 1968 immerhin Mitglied des Prager Stadtkomitees war.

Aus dieser Gruppe zweit- und drittklassiger Männer ragt allerdings ein ganz prominenter Angeklagter hervor: der heute 45jährige Rektor der Parteihochschule Milan Hübl, der nicht nur ein angesehener

Historiker war und etwa im Redaktionskomitee des „Cesky Ca-sopis historicky“ saß, sondern auch in der Parteihierarchie und im staatlichen Bereich eine Spitzenstellung innehatte, er wurde noch 1969 ins ZK der KPTsch, also ins theoretisch höchste Parteigremium, kooptiert, war Mitglied des tschechischen Nationalrates und Mitglied der Kammer der Nationen.

Drakonische Strafen

Bei diesen Prozessen, die man tatsächlich kaum noch als „öffentlich“ bezeichnen kann, warf man nun allerdings nicht vor, was 1968 oder 1969 geschah. Da wären auch die Angeklagten — von Milan Hübl abgesehen — zu „kleine Fische“ gewesen. Bei diesen „Abschreckungsprozessen“ handelt es sich vorwiegend um angebliche Vergehen im Zusammenhang mit den Wahlen vom Spätherbst 1971, da die Angeklagten Flugblätter entwarfen und verteilten, die den Wählern ihre

Rechte darlegten, vor allem die Rechte der Streichungen und Namenshinzufügungen auf den Kandidatenlisten. Tatsächlich sollen die meisten Angeklagten erklärt haben, sie seien völlig unschuldig, da sie ausschließlich die Wähler auf die ihnen zustehenden gesetzlichen Möglichkeiten aufmerksam gemacht hätten. Tatsächlich wurden alle Angeklagten der „Subversion“ beschuldigt und nach diesem Tatbestand bestraft.

Man sieht also den paradoxen Zustand, daß man in der Tschechoslowakei tatsächlich das Jahr 1968, teilweise auch das Jahr 1969 ausklammert — man müßte, würde man dies nicht tun, vermutlich die halbe Nation vor Gericht stellen —, nunmehr aber wieder scharf durchgreift.

Vergleicht man nun das Strafausmaß mit den fünfziger Jahren, da die aus politischen Gründen Angeklagten fast ausnahmslos zum Tod verurteilt und auch hingerichtet wurden, so erscheinen die jetzigen Strafen vielleicht harmlos. Aber immerhin wurden die Angeklagten für Taten, die im Westen ganz selbstverständlich zum demokratischen Alltag gehören, zu Strafen bis zu sechs Jahren verurteilt.

Aber dieses außerordentlich harte Strafausmaß ist keineswegs das einzige bedeutsame Merkmal dieser Prozesse. Neuerlich wurde eine ganze Reihe von Angeklagten, so der einstige Parteifunktionär Litera, die Frau des Philosophen Hejdanek, der evangelische Pfarrer Dus, aber auch andere, vom Gericht zu einer höheren Strafe verurteilt, als der Staatsanwalt beantragt hatte.

Und in Zukunft?

Nun muß die Frage gestellt werden, was diese politischen Sommerprozesse in Prag und Brünn für die Zukunft lehren. Vor allem, daß sich der politische Alltag der Hu-säk-Zeit kaum wesentlich von dem der späten Novotny-Zeit unterscheidet; daß es wieder politische Prozesse gibt und und daß für ausgesprochen harmlose Fakten, die im Westen kein Gericht bestraft, drakonische Strafen ausgesprochen werden. Daß es schließlich künftig unmöglich erscheint auch eine bescheidene Kritik im jetzigen Regime zu äußern. Damit scheint wieder einmal durch eine Verstopfung aller nur möglich erscheint, auch eine beschei-Ventile der Weg für eine Verhärtung, aber auch der für eine neuerliche Explosion geschaffen, wie sie beim ZK der ersten Jännertage 1968 sichtbar wurde.

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