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Wir und die uns Fremden

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Scharfe Kritik hat der Wiener Psychoanalytiker Erwin Ringel an dem von der FPÖ geplanten Anti-Ausländer-Begehren geübt. Dieses sei eine „Unmenschlichkeit und ein Versuch, tiefste Gräben in der Bevölkerung aufzureißen", sagte Ringel bei einem „Jour fixe" des Verbandes Katholischer Publizisten Österreichs.

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Scharfe Kritik hat der Wiener Psychoanalytiker Erwin Ringel an dem von der FPÖ geplanten Anti-Ausländer-Begehren geübt. Dieses sei eine „Unmenschlichkeit und ein Versuch, tiefste Gräben in der Bevölkerung aufzureißen", sagte Ringel bei einem „Jour fixe" des Verbandes Katholischer Publizisten Österreichs.

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Mit der Politik Innenminister Franz Löschnaks erklärte sich Ringel weitgehend einverstanden: „Auf rationaler Ebene hat er sein Möglichstes getan, auf irrationaler Ebene kann er nichts tun." Ringel plädierte für eine differenzierte Sichtweise des Ausländerproblems: „Wenn man sagt, in Rumänien hat die Verfolgung aufgehört, jetzt kommen nur noch Wirtschaftsflüchtlinge, so kann ich nur lachen. Das stimmt einfach nicht."

Den wachsenden Ausländerhaß in der Gesellschaft wertete der Psychoanalytiker als „psychopathologisches Problem", das in Österreich auf einige besonders gedeihliche Voraussetzungen stoße. Dazu gehöre eine Ich-Unsicherheit, die beim Betroffenen dahin führen könne, sich andere Schwache zu suchen, um sich an ihnen „hochzuturnen": „Minderheiten, in erster Linie Ausländer, sind da wunderbar geeignet."

Haß entstünde auch dort, wo das Gefühlsleben von Menschen gestört sei, wo nicht stattgehabte Liebe pervertiert werde, ins Gegenteil kippe: „Man wartet auf eine Gelegenheit, aggressiv zu werden nach dem Prinzip: ,Ich zerstöre, also bin ich'." Radikalität und Unbarmherzigkeit setzten sich durch, rasch komme es zur „Massierung der Hasser" und zur Gruppenbildung um eine Führerfigur. Die Identifikation mit ihr und die Unterordnung unter sie funktioniere um so besserte brutaler dieser Führer agiere.

Ringel: „Es gibt jetzt einen Politiker in Österreich, dessen Weg viele politische Leichen säumen."

Insbesondere junge Menschen seien heute „anfällig" für die ausländerfeindlichen Parolen gewisser „Rattenfänger": „Es handelt sich um wertmäßig verwahrloste Jugendliche, die in einem Werte-Vakuum aufgewachsen sind." Insofern sei alles dafür zu tun, sich mit den Heranwachsenden auseinanderzusetzen und ihnen wieder Werte zu vermitteln.

Die Verdrängung von Wahrheit, mithin die Projektion von Selbsthaß in andere und die Schaffung von Feindbildern, ist-nach Ansicht Ringels ein Element, das die Geschichte Österreichs im Wechsel mit Phasen der „Aufdeckung" und „Bewußtseinserweiterung" durchzieht. Oft hätten Menschen von außen, insbesondere Juden, Aufdeckungsarbeit geleistet. Heute befänden sich die Aufdecker in einer „schwierigen Position". Eine

„echte Metanoia" habe nach 1945 nie stattgefunden, die Vergangenheit sei unbewältigt geblieben. Je mehr aber verdrängt werde, desto größer werde der Bedarf an Feindbildern. An erster Stelle stünden in Österreich derzeit die Serben. „Das ist sehr beunruhigend, besonders wenn man die angeschlagene Geschichte Österreichs mit Serbien bedenkt", sagte Ringel und mahnte: „Wenn wir irgendwo verpflichtet sind, uns emotional herauszuhalten, dann da." Vor dem irrationalen, emotionalaggressiven Ausländerhaß schütze auch Intellektuali-tät nicht, gab Ringel zu bedenken. Gleichzeitig warnte der Psychoanalytiker vor einer vermeintlich „rationalen" Sicht des Aus-länderproblems. Immer wieder würden scheinbar vernünftige Gründe dafür angeführt: Ausländer seien kriminell, nähmen Inländern Arbeitsplätze weg und - im Sinne der von FPÖ-Bundesrat Andreas Mölzer befürchteten „Umvolkung" - veränderten das österreichische Volk. In Wirklichkeit sei ■ diese Argumentation Aus-]gd druck einer „Rationalisie-rung" im psychiatrischen dtifl Sinne: Zur Begründung einer bereits vorhandenen Feindseligkeit würden Scheinargumente herangezogen.

Wie Ringel betonte, sei in der gegenwärtigen Situation die Stimme der Bischöfe besonders gefordert. Außerdem brauche es eine sachgerechte Berichterstattung, die die Dinge beim Namen nenne und auf Feindbilder verzichte. „Die einzige wirkliche Chance heißt Begegnung, Diskussion, Gespräch." Er, Ringel, hoffe, „daß wir die Gnade haben, £in Einwanderungsland zu werden".

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