Neue Kriege in altem Gewand

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100 Jahre nach Bertha von Suttner gibt es immer noch Krieg - aber er hat seine Gestalt gewandelt: Die neuen Kriege brauchen keinen Raum mehr und keine Zeit.

Eine gute Arbeit", schrieb Leo Tolstoj nach der Lektüre von Bertha von Suttners "Die Waffen nieder!" in sein Tagebuch: "Zweifellos leidenschaftlich und überzeugend, aber ohne Talent." Trotz dieser Kritik bot der russische Schriftsteller der österreichischen Friedensaktivistin seine tatkräftige Unterstützung für ihre Bemühungen an, dem Krieg ein Ende zu setzen - wenngleich Tolstoj mit Suttners Wahl der dafür nötigen Mittel (vor allem der Einrichtung internationaler Gerichtshöfe) nicht übereinstimmte.

Ein Grund für diese Skepsis mag gewesen sein, dass für Tolstoj "die Zahl der Ursachen für Kriege so vielfältig ist wie die Hufschläge einer Herde von Pferden". Auf diesen Vergleich machte Heinz Gärtner, Sicherheitsexperte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) bei der letztwöchigen Präsentation des Buches "Krieg an den Rändern" aufmerksam. Gärtner entgegnete damit dem Vorwurf des Wirtschaftswissenschafters und Mitherausgebers besagten Buches, Joachim Becker, die Sozialwissenschaften würden sich "auffällig wenig" mit Kriegen beschäftigen, dementsprechend gering seien die Ergebnisse bei der Ursachenerforschung für Kriege .

Das Chamäleon Krieg

Für Gärtner erklärt sich dieses Unwissen über den Krieg vielmehr aus dem "vielgesichtigen Phänomen" des Krieges selbst, aus dem "Nebel Krieg", aus dem "Chamäleon Krieg" der sich konsequent wissenschaftlichen Methoden und Zugriffsmöglichkeiten zu entziehen versteht.

Und noch in einem weiteren Punkt gibt es Dissens zwischen den beiden Kriegsforschern Gärtner und Becker: Letzterer sieht in den "neuen Kriegen", in denen im Gegensatz zu den "alten Kriegen" nicht mehr die regulären Armeen zweier verfeindeter Staaten aufeinander losgelassen werden, sondern sogenannte Rebellen, Terroristen, Freiheitskämpfer etc. gegen die staatliche Militärmacht ankämpfen, kein wirkliches Novum: "Diese asymmetrischen Kriege sind eine Konstante aus den kolonialen Konflikten des 18. und 19. Jahrhunderts", in denen die "zivile Macht des Weißen Mannes" jeden Widerstand niedergeschlagen hat, sagt Becker und fügt hinzu: "Da kommen neue Kriege in alten Kleidern daher." Und auch in den Begründungen sieht Becker Parallelen zwischen damals und heute: Der nichtstaatliche Gegner wird als nicht gleichwertig anerkannt; Demokratie- und Entwicklungsfähigkeit werden ihm abgesprochen - für Becker auch ein Grund, warum "die Schwelle zu extrem grausamer Kriegsführung" bei diesen Kriegen leicht überschritten wird.

Von Mao bis Bin Laden

Heinz Gärtner lässt das nicht ganz gelten: Einerseits spricht auch er von einer "Vermittelalterisierung" des Krieges, andererseits laufen für ihn asymmetrische Kriege "schon nach einem neuen Muster" ab. Der chinesische Revolutionär Mao Zedong war zu seiner Zeit, so Gärtner, der "Vater einer neuen Kriegform": Maos Guerillakampf hat die Dimension des Raums bei der Kriegsführung aufgelöst. Der Terrorkrieg heutigen Zuschnitts geht darüber hinaus und lässt auch die Zeitdimension bei der Kriegsführung verschwinden - "so ein Krieg kann ewig dauern". Ein weiteres Charakteristikum der neuen Kriege sieht Gärtner in der Zunahme an zivilen Toten, sodass mittlerweile "die Zivilbevölkerung das Hauptangriffsziel dieser neuen Kriege geworden ist".

Für Walter Feichtinger, den Leiter des Instituts für Friedensicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie Wien, ist diese Fokussierung auf Zivilisten als primäre Zielscheibe eine der zwei "Enthegungen", die er für die neue Kriegsführung diagnostiziert. Die nichtstaatliche Seite versuche damit in asymmetrischen Konflikten Druck auf die staatliche Politik auszuüben und kann dadurch den Mangel an militärischen Möglichkeiten mehr als wett machen, sagt Feichtinger.

"Kriege führbar machen"

Die zweite Enthegung sieht Feichtinger von der staatlichen Seite ausgehend: Durch die Entwicklung und den Einsatz von hochpräzisen Waffensystemen versuchten Staaten, "Kriege wieder politisch leichter führbar zu machen". Als ein Beispiel für diese Tendenz nennt Feichtinger den Versuch der Bush-Regierung, Saddam Hussein und die irakische Führung durch einen gezielten Raketenanschlag außer Gefecht zu setzen - und damit den letzten Irak-Krieg schon vor seinem Anfang zu beenden. Der Angriff ist gescheitert, und die usa zogen erneut in den Krieg gegen den Irak.

Eines der seltenen Beispiele - der Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien - wäre noch zu nennen, wo heute Staat gegen Staat ins Feld zieht, denn die überwiegende Mehrzahl gegenwärtiger Kriege wird innerstaatlich ausgefochten. Für einige Kommentatoren ist der letzte Irak-Krieg aber auch kein Krieg gegen einen anderen Staat, sondern die Auseinandersetzung mit einem menschenverachtenden Diktator und geht deswegen eher in Richtung von "humanitärer Intervention". Für Joachim Becker ist auch diese Argumentation nichts Neues: "Humanitäre Intervention wurde im 19. Jahrhundert der Krieg im Kongo genannt" - in jener Zeit also schon, in der Bertha von Suttner "Die Waffen nieder!" geschrieben hat.

KRIEG AN DEN RÄNDERN

Von Sarajevo bis Kuito

Hg. von Joachim Becker, Gerald Hödl und Peter Steyrer, Verlag Promedia,

Wien 2005, 280 Seiten, brosch., e 24,90

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