"Diese Kirche war meine Mutter. Und Sünderin"

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Seine Kirche in Südafrika rechtfertigte die Apartheid auch theologisch. Nach Ende der Rassentrennung kam James Alfred Loader als evangelischer Theologe an die Uni Wien, wo er mit Oktober emeritiert wurde.

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Seine Kirche in Südafrika rechtfertigte die Apartheid auch theologisch. Nach Ende der Rassentrennung kam James Alfred Loader als evangelischer Theologe an die Uni Wien, wo er mit Oktober emeritiert wurde.

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In seiner südafrikanischen Heimat kämpfte James Alfred Loader gegen die Apartheid - nicht immer zur Freude seiner Kirche, die die Rassentrennung auch theologisch zu begründen suchte. Vor 16 Jahren verließ Loader seine damalige Universität Pretoria und kam als Professor für alttestamentliche Theologie an die evangelische Fakultät in Wien. Damals war Nelson Mandela schon drei Jahre lang Präsident des freien Südafrika. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit blieb Loader auch in Wien der Aufarbeitung der Rassentrennung treu - er initiierte etwa die 2009 erfolgte Verleihung des theologischen Ehrendoktorats an den Friedensnobelpreisträger und Alterzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu. Am 1. Oktober wurde Loader als ordentlicher Professor emeritiert.

DIE FURCHE: Sie haben über 40 Jahre als Theologe an Universitäten in Südafrika und Europa gelehrt. Wollten Sie schon immer Theologe werden?

James Alfred Loader: Ja, das war von Anfang klar. Ich kann mich zwar noch erinnern, dass ich als kleiner Bub Kartenabreißer im Kino werden wollte. Denn der hatte so eine schöne rote Uniform an. Aber danach wusste ich bald, dass ich Pfarrer werden wollte. Allerdings wurde ich gleich im Anschluss an mein Studium als Dozent an der Universität angestellt. So blieb der Pfarrberuf immer nur ein Teilzeit-Job. Ich bin dann viele Jahre für Gemeinden, die zu arm waren um einen eigenen Pfarrer zu bezahlen, eingesprungen.

DIE FURCHE: Sie kommen aus der "Nederduitse Gereformeerde Kerk" in Südafrika. Was macht diese Kirche aus?

Loader: In meiner Kirche hatten wir eine sonderbare Situation. Denn sie war zwar theologisch liberal, zugleich aber politisch die konservativste der drei reformierten Kirchen in Südafrika. So gab es damals in der Kirchenordnung eine Bestimmung, den - aus meiner Sicht - berüchtigten Paragraph drei. Der besagte, dass nur Weiße zu dieser Kirche gehören dürfen. Aus dieser Tradition komme ich.

DIE FURCHE: Wie hatten Sie dann in dieser Kirche Platz?

Loader: Damals war alles von der Apartheid bestimmt. Auch in der Kirche suchte man eine theologische Begründung dafür. Ich habe den Großteil meines theologischen Lebens versucht, das abzubauen. In der allgemeinen Synode meiner Kirche war ich in dieser Causa in den frühen Siebzigerjahren oft die einzige Stimme. Meine Familie und ich wurden damals an den Rand gestellt. Ich wurde isoliert, mein Auto sabotiert, es gab Drohanrufe in der Nacht. Mittlerweile ist das komplett anders geworden. So fand 1997, im selben Jahr als ich meinen Ruf nach Wien bekam, die allgemeine Synode statt. Dort wurde das, wofür ich mich immer eingesetzt hatte, nämlich die Abschaffung des Paragraphen drei, mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Da dachte ich: Endlich ist es soweit. Jetzt habe ich das Recht, diesen Ruf anzunehmen.

DIE FURCHE: Wo haben Sie den Antrieb hergenommen, trotzdem in der Kirche zu bleiben und für Ihre Überzeugungen einzutreten?

Loader: Das ist eine theologisch äußerst relevante Frage, über die ich mein Leben lang nachdenken musste. Geholfen hat mir eine Aussage bei den Kirchenvätern, der Calvin beigepflichtet hat: Wer Gott als Vater hat, muss die Kirche als Mutter haben. Das sehe ich auch so. Wenn deine Mutter sündigt, dann bleibt sie trotzdem noch deine Mutter. Diese Kirche war nun meine Mutter. Und meine Mutter war Sünderin. Deswegen musste ich ihr dienen, indem ich sie, so kritisch mein Gewissen und meine Kenntnisse und meine Überzeugungen es mir erlaubten und mich verpflichteten, begleitete.

DIE FURCHE: Auf der Wiener Fakultät waren Sie auch für Ihr gutes Verhältnis zu den Studierenden bekannt. War Ihnen die Lehre wichtig?

Loader: Ich sehe die Universität als eine Institution von Forschung und von Lehre. Wir forschen eben nicht nur, um zu forschen, sondern um etwas weiterzugeben. Das gilt auch für die Theologie. Es heißt immer, die Universität muss eine Öffentlichkeitswirkung haben. Aber die Öffentlichkeit sitzt bei uns in den Hörsälen, die Studierenden sind die erste Phalanx der Öffentlichkeit. Wenn die nicht die Wichtigsten sind, dann wird das Fundament brüchig.

DIE FURCHE: Das universitäre Theologiestudium steht auch immer wieder in der Kritik. Wie lässt sich eine theologische Fakultät an der Universität rechtfertigen?

Loader: Vor kurzem hat mich der Rektor nach meiner Meinung zu genau diesem Thema gefragt. Die evangelische Kirche -nicht die theologische Fakultät - hat ja die Garantie von sechs theologischen Professuren. Das ist eine Zusage vom Staat an die Kirche. Und die Kirche ist in den Augen des Staates ein Verein und muss Dienste liefern. Dafür sagt der Staat Leistungen zu, wie eben diese Garantie. Da kann man verstehen, dass Leute, die antikirchlich gesonnen sind, das natürlich als Argument verwenden und sagen: Wie kann die Kirche in die Universität hineinreden?

DIE FURCHE: Und der Theologie wird da auch Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen ...

Loader: Man muss sehen, dass das positivistische Ideal von Wissenschaft an allen relevanten Universitäten bereits aufgegeben wurde. Wir müssen in den Wissenschaften mit Voraussetzungen arbeiten. Am deutlichsten ist das in der Philosophie zu sehen. Auch dort gibt es axiomatische Ausgangspositionen, Perspektiven, ein Gepäck an Voraussetzungen. Alles das ist ein Filter, eine Brille, durch die man analysiert. Aber das Gleiche gilt auch für die Naturwissenschaften. Dazu kommt, dass man einen wichtigen Aspekt wie die Religion, die trotz aller Säkularisierung für Millionen von Menschen wichtig ist, nicht einfach weg reden kann. Viele Argumente in der gesellschaftlichen Debatte greifen immer wieder auf die Religion zurück. Das zeigt, dass ein Nachdenken über den Glauben, ein universitäres Theologiestudium, auch wissenschaftstheoretisch sinnvoll ist.

DIE FURCHE: Spricht das dann auch für ein Ende der konfessionellen theologischen Fakultäten?

Loader: Naja, ich kenne beides. Ich war zunächst an einer konfessionellen Fakultät. Dann bin ich auf die einzige Nicht-Apartheids-Universität in Südafrika gewechselt. Die dortige theologische Fakultät - die damals größte der Welt - war nicht konfessionell. Das hat vieles für sich. Auf so einer Fakultät habe ich mich sehr zu Hause gefühlt. Aber das bedeutet nicht, dass ich die Realitäten des österreichischen Kontextes, der immer auch ein historisch gewachsener ist, nicht sehe und respektiere. Grundsätzlich kann ich in beiden Systemen arbeiten.

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