Der Wohlstand der Sozialisten

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Als „Nachtrag“ zu seiner jahrelangen Beschäftigung mit der Nazi-Vergangenheit sieht Josef Haslinger seinen Roman „Vaterspiel“. Nun hat Michael Glawogger das schwierige Buch verfilmt. Das Gespräch führte Magdalena Miedl

Der österreichische Autor Josef Haslinger („Opernball“) über die jüngste Verfilmung seines Romans, „Vaterspiel“: Ein Gespräch über Literatur, einen sympathischen Nazi und den Kommunismus.

Die Furche: Michael Glawogger sagt über Ihren Roman Vaterspiel, dass er sehr filmisch ist. Ist das etwas, das Sie nachvollziehen können?

Josef Haslinger: Ich hab beim Schreiben in hohem Maße Bilder vor Augen. Ich beschreibe lieber ein Verhalten, aus dem der Leser auf die Gedankenwelt der Figuren schließen kann, als direkt zu sagen, was die Figur empfindet. Ich glaube, das macht auch das Lesen interessanter, weil es die Phantasie anregt, wenn der Leser selbst das Innenleben der Figuren ergründet. Das hat etwas Filmisches, denn im Film ist es meistens genauso.

Die Furche: Sie kennen das Drehbuch von „Vaterspiel“. Wie war es, die selbst geschriebene Geschichte in einer derart anderen Textgattung zu lesen?

Haslinger: Ich erwarte prinzipiell das Schlimmste, aber ich war positiv überrascht. Zu Beginn hatten wir vereinbart, dass ich mich gar nicht einmischen will, aber dann hat mich der Regisseur Michael Glawogger gebeten, das Drehbuch doch zu kommentieren. Ich war sehr angetan, vor allem von dem Bemühen, mehrere Ebenen des Buches zusammenzuführen. Das ist ja nicht so einfach, wenn man nur zwei Filmstunden zur Verfügung hat, während selbst ein schneller Leser für die fast 600 Seiten etwa zwölf Stunden beschäftigt ist. All diese Ebenen aus dem Buch, die Gegenwart, die Sozialdemokratie in den Achtzigern, die Nazizeit, das in einem Film zusammenzuführen, dieses Bemühen hat mich angesprochen. Michael Glawogger hat da eine Handschrift gezeigt, die mir von Anfang an sympathisch war, er hat versucht, den Montagecharakter des Buchs in den Film hinüberzuretten. Ich habe den Eindruck, dass der Film dem Geist des Buches gerecht wird.

Die Furche: Woher kommen die vielen verschiedenen Motive und Erzählstränge?

Haslinger: Als ich selbst in den 70ern in Wien studiert habe, habe ich mich intensiv mit österreichischer Politik befasst. Dann in den 80ern, während der Waldheim-Ära, habe ich zwei Jahre lang kaum etwas anderes getan, als mich mit den politischen Verhältnissen und dem Umgang mit der Nazi-Vergangenheit zu beschäftigen. „Vaterspiel“ ist vielleicht ein Nachtrag dazu. Mich hat interessiert: Wie stellt sich die Geschichte für einen Wohlstandssozialdemokraten dar? Der Ratz, die Hauptfigur im Roman, ist ein Wohlstandskind, bei dem alles daheim schon erreicht ist und die sozialdemokratischen Kämpfe der Vergangenheit angehören. In diesen sozialdemokratischen Wohlstandsfamilien hat eine erstaunliche Entpolitisierung stattgefunden, und mir schien es interessant, einer Figur wie dieser zu folgen. Es hat auch für mich selbst etwas Provokantes, dass einem ein alter Nazi sympathisch werden kann. Das hat aber mit einer Historisierung des Holocaust zu tun: Ich kann mir moralisch noch so sehr vor Augen halten, dass er das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist, aber auch wenn ich das zur Sprachregelung mache, ändert das nichts daran, dass er in der Geschichte versinkt.

Die Furche: Sie leben und lehren seit Jahren in Leipzig. Wie genau beobachten Sie die österreichische Politik von außen, um Material für den nächsten Roman zu haben?

Haslinger: Ich beobachte sie, aber nicht für den nächsten Roman, der ist woanders angesiedelt. Ich finde, ich habe mich lange genug mit Österreich beschäftigt und mit dem Nationalsozialismus. Ich will das nicht zum Lebenszentrum machen. Mich interessiert im Moment der Kommunismus, die Frage, warum dieses System im Westen so wenig zur literarischen Auseinandersetzung geführt hat. Es gibt zwar die Dissidenten, die gelitten haben und darüber schreiben, aber sonst kaum jemanden. Über den Nationalsozialismus schreiben doch auch sehr viele, die ihn nicht erlebt haben, da kann ich mich selbst als Beispiel nehmen. Aber beim Kommunismus? Auch dort liegen Millionen Tote begraben, und das hat enorme Auswirkungen auf ganze Länder, ja Kontinente, aber die Auseinandersetzung damit liegt brach. Das beschäftigt mich im Moment.

Vaterspiel

A 2009. Regie: Michael Glawogger. Mit Helmut Köpping, Sabine Timoteo, Christian Tramitz, Ulrich Tukur, Michou Friesz,

Otto Tausig. Verleih: Filmladen. 117 Min.

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