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Die andere Meinung

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Von 1922 bis zu seinem Tod stand Hofmannsthal in Verbindung mit dem Schweizer Literarhistoriker und Essayisten Max Rychner, den er sehr schätzte lind der „Redaktor“ der Zeitschrift „Wissen und Leben“ war, die später unter dem Titel „Neue Schweizer Rundschau“ berühmt wurde. Rychner hatte, zwei Jahre bevor er die Bekanntschaft Hofmannsthals machte, für seine Zeitschrift einen Essay über Karl Kraus geschrieben, der 1924 im Verlag der Wiener Buchhandlung Lanyi als selbständige Publikation herausgegeben wurde. — Um diese Veröffentlichung muß es sich wohl hundein, über die Hofmannsthal mit Jakob Wassermann gesprochen hat, wobei er wahrscheinlich seinem Erstaunen darüber Ausdruck verlieh, daß Rychner soiuohl über ihn wie über Karl Kraus Positives schreiben konnte.

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Von 1922 bis zu seinem Tod stand Hofmannsthal in Verbindung mit dem Schweizer Literarhistoriker und Essayisten Max Rychner, den er sehr schätzte lind der „Redaktor“ der Zeitschrift „Wissen und Leben“ war, die später unter dem Titel „Neue Schweizer Rundschau“ berühmt wurde. Rychner hatte, zwei Jahre bevor er die Bekanntschaft Hofmannsthals machte, für seine Zeitschrift einen Essay über Karl Kraus geschrieben, der 1924 im Verlag der Wiener Buchhandlung Lanyi als selbständige Publikation herausgegeben wurde. — Um diese Veröffentlichung muß es sich wohl hundein, über die Hofmannsthal mit Jakob Wassermann gesprochen hat, wobei er wahrscheinlich seinem Erstaunen darüber Ausdruck verlieh, daß Rychner soiuohl über ihn wie über Karl Kraus Positives schreiben konnte.

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Was für eine Angelegenheit, lieber Dr. Rychner! — Aber ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie so freundlich waren mir diesen sympathischen, ernsten und ausführlichen Brief zu schreiben — und wir wollen sie sehr schnell wieder begraben, die .Angelegenheit'!

Vielleicht hat sich doch auch in Wassermann's Erinnerung die Nuance ein wenig verschoben gehabt. Ich kenne Ihr Buch über Kraus nicht, lieber Herr Rychner. Ich habe es nur einmal in Wien in einem Buchladen liegen sehen, und war verwundert über die Zusammenstellung der beiden Namen, ja, verwundert, und so nachhaltig daß ich es offenbar hier im September gegen Wassermann erwähnt habe, als er davon sprach nach Zürich zu gehen und den ihm befreundeten Kreis dort wiederzusehen. — Ich bin nun durch die Umstände gedrungen, mich über den Grund dieser nachhaltigen Verwunderung zu äußern. Sehen Sie, jener Abend im Hause Korrodis ist mir auch in einer sehr lebendigen und freundlichen Erinnerung. Indem ich Sie, so jung, und Korrodi und Trog beisammen sah, ergab sich das Bild eines ernsten literarischen Wesens und Strebens, gleichsam auf drei Generationen aufgeteilt. Dann hatten Sie die Freundlichkeit, mir die Arbeit über Gervinus zu schicken; eine ernste und schöne Arbeit; ich erinnere mich eines Gesprächs mit Professor Brecht, der die Arbeit auch hoch einschätzte. Sodann sah ich Sie in so jungen Jahren an die Spitze einer Zeitschrift gestellt, und auch hier stellten Sie Ihren Mann mit Ehren. Daß man, fortgesetzt in Betätigungen einer höheren geistigen Ordnung begriffen, dem Phänomen K. K. ein Buch (oder mindestens eine umfangreiche Broschüre, so viel ich mich erinnere, ich sah das Buch nur von außen) zu widmen die Zeit finden könne, das hatte für mioh etwas Verwunderliches: Nun streifen Sie in Ihrem Brief irgendwelche negativen Urteile von K. über meine Arbeiten. Darüber weiß ich nichts; ich habe die .Fackel' seit 12, vielleicht seit 15 Jahren nicht vor Augen gehabt. Ein Urteil von K. könnte mich nicht beschäftigen; ich glaube nicht daß er zu einem fundierten Urteil — und nur ein solches hat irgendwelches Gewicht — die Substanz in sich hat. Ich weiß, daß er manchmal, wenn er in Schwung ist, in einer gewissen Art gut schreibt, und mit wirklichem Witz. Aber irgend welche Substanz traue ich ihm nicht zu. Ich habe ihn vor dreißig Jahren recht gut gekannt; wir waren beide damals sehr junge Menschen, doch erinnere ich mich genau: Es war auch damals nichts in ihm, auch kein Wüle, sich zu fundieren, nichts als ganz kurze Zwecke und Absichten. Wäre aber auch irgend eine Substanz in ihm gewesen, so hätte er sie vergeudet: Keine Individualität verträgt ein Da-sein, das nur auf Polemik gestellt ist, und nicht einmal Polemik reeler Art, die auf Herbeiführung politischer Veränderung ausgeht, sondern eine Polemik, die sich immer gegen den Schein und die Form von Dingen richtet, aber selber von diesem Scheinen und Formen nicht loskann.

Es gibt ja sehr viele paradoxe Dinge beständig um einen herum; aber diese Sache verdroß mich beinahe, nicht um meinetwillen denn mein Existenzkreis berührt sich nicht mit dem von K. und wie ich jahraus jahrein von niemand seinen Namen nennen höre, so hört er wohl auch kaum den meinen; man lebt an Wien sehr auseinander, es ist eine weite Stadt, viel mehr als Berlin — aber um Ihretwillen, oder um der Dinge willen mit denen ich Sie verflochten dachte, verdroß es mich, als allzu disparat.

Es langweilt mich aber, noch ausführlicher und so ausführlich als es vielleicht nötig wäre um die Nuance einer völligen Ablehnung zu begründen über den K. zu schreiben, weit lieber hätte ich die Zeit darauf gewandt Ihnen ein paar Worte darüber zu sagen, warum ich damals, als Sie mich freundlich aufforderten, dann doch zu keinem Brief ,über die Schweiz' den Schwung in mir fand. Wassermann und Thomas Mann zogen sich durch eine fast sociale, dem Französischen ähnliche Form, die sie ihren Briefen gaben, aus der Sache — mich hätte es nur interessiert, tiefer einzugehen, und das erschien mir wieder schwer und sehr weit führend. Gewisse Individuen haben mir in meinem Leben sehr viel bedeutet: C. F. Meyer, der Lyriker vor allem, J. Burokhardt, J. v. Müller, Gotthelf (dieser noch weit mehr als Keller; und je älter ich werde, desto schärfer werte ich so) und J. J. Bachofen: dieser seit etwa dreißig Jahren; das Mutterrecht in der alten Ausgabe von 1862. Erst reifer werdend erkannte ich, daß etwas diese Individuen verbindet: es ist das ältere Schweizerische. Ich achte es sehr. Vielleicht findet sich einmal die Gelegenheit dies auszudrücken: aber jener „Brief“ wäre nicht die Form gewesen. Es bedarf dazu einer größeren Concentration. — Sie werden nächstens Croce dort haben. Sein Thema interessiert mich besonders. Sie oder Dr. Korrodi (vielleicht beide) werden ohne Zweifel darüber referieren. Bitte schicken Sie mir dies Referat nach Rodaun und betrachten mich jedem Höheren, das Sie unternehmen, als teilnehmend verbunden.

Mit vielen Grüßen

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