Hommage an die Schwerstarbeit

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Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig war Michael Glawoggers "Workingman's Death" weit mehr als ein Geheimtipp. Demnächst kommt der Dokumentarfilm über Schwerarbeit an exemplarischen Orten ins Kino. Im Gespräch äußert sich Glawogger über seine Art zu filmen und seinen "ästhetischen" Zugang, auch wenn es dabei Bedrückendes zu erzählen gibt.

Schon sein Dokumentarfilm "Megacities", mit dem Michael Glawogger 1998 auch international Furore machte, war episodisch, das heißt aus mehreren Beiträgen über mehrere Mega-Städte (New York, Bombay, Moskau, Mexico City) zusammengestellt. Nachdem der Regisseur zuletzt mit dem Filmulk "Nacktschnecken" (2003) eher ins Genre des Infantil-Kinos abgeglitten war, meldet er sich nun umso kraftvoller mit dem zurück, wo er wirklich stark ist: Episodischer Dokumentarfilm als Anwaltschaft, den Menschen eine Stimme geben (vgl. zum Thema auch die eza-Serie, Seite 5 dieser Furche), so könnte die eine Motivationslinie für den Film "Workingman's Death" benannt werden. Als zweites kommt Glawoggers eigene Filmästhetik hinzu, die das Erzählte auch formal in den Griff bekommt, aber die Unerträglichkeiten, die gezeigt werden, keinesfalls behübscht.

In sechs Winkel der Erde ist Glawoggers Crew gereist, um das Grundthema Schwerarbeit anhand der konkret vorgefundenen Situationen zu variieren. Formal einleuchtend hat sich der Regisseur zuerst an den Wirkungsort des Parade-Schwerarbeiters begeben: Aleksej Stachanow (1906-77), jener Bergmann, der zu Stalins Zeiten eine regelrechte Rekordjagd an freiwilliger Übererfüllung vorgegebener Fördermengen ausgelöst hatte, arbeitete im Donbass, dem ostukrainischen Kohlerevier. Heute, so das beklemmende Fazit, herrscht in dieser Region unbeschreibliches Elend: Viele Gruben sind geschlossen; Bergleute arbeiten in staatlichen Minen ohne Lohn oder schlagen die Kohle nur mit Handwerkzeugen in illegalen Gruben für den Eigenbedarf aus dem Gestein. Mitunter sind die Flöze nur 40 cm hoch, unvorstellbar wie die Kumpel das stundenlang durchkriechen (unvorstellbar auch, wie das zu filmen war). Stachanow thront im Stadtpark immer noch als Statue, vor der sich frisch getraute Paare fotografieren lassen ...

Andere Orte, nicht minder beklemmend: Im indonesischen Java schleppen Träger 70 bis 100 Kilo Schwefel von einem Vulkan ins Tal, den Touristen als Ausflugsziel besteigen: ein absurdes Aufeinandertreffen zweier Welten. In der nigerianischen Hafenstadt Port Harcourt verarbeiten Schlächter in einem Freiluft-Schlachthof 350 Ziegen und ebensoviele Rinder am Tag. Ein blutiges, aber lautstark kommunikatives Geschäft. Dann zeigt Glawogger pakistanische Werftarbeiter, die mit primitivem Gerät zu verschrottende Öltanker zerlegen.

Den Abschluss bilden Hochofenarbeiter im Boomland China sowie ein stillgelegtes Stahlwerk in Duisburg, das heute ein Freizeitpark, eine Art "Industry-Land" geworden ist: Europa ist längst von solch virtueller Arbeitswelt eingeholt, während anderswo die brutale Wirklichkeit der Schwer(st)arbeitswelt Menschen an den Rand ihrer Kräfte, aber auch ihrer Würde bringt.

Michael Glawogger hat mit "Workingman's Death" diesen Menschen grandios und unnachahmlich das richtige Denkmal gesetzt. Otto Friedrich

WORKINGMAN'S DEATH

Ö/D 2005. Regie: Michael Glawogger. Verleih: Filmladen. 122 Min. Ab 25. November in den Kinos.

Die Furche: "Workingman's Death" befasst sich mit dem Alltag von Schwerstarbeitern aus der ganzen Welt. Wieso war es Ihnen ein Anliegen, einen Film über Arbeit zu drehen?

Michael Glawogger: Dahinter stecken bei mir immer relativ persönliche Ansichten. Ich erinnerte mich an meine Jugend, in der es immer den Druck gab: Nur wenn du was "G'scheites" arbeitest, dann bist du wer. Dagegen haben wir damals stark rebelliert. Aber ich hatte immer ein unterbewusstes Gefühl, dass das, was ich tue, nicht wirklich "Arbeit" ist. Anhand solcher Gedanken und mit der zunehmenden Diskussion, dass Arbeit heute nicht mehr die einzige Grundlage der Entlohnung sein kann - weil es nicht mehr Arbeit für alle Menschen geben wird - war mir wichtig, die großen Helden der heutigen Arbeit aufzuspüren.

Die Furche: Filmemachen ist also keine "richtige" Arbeit?

Glawogger: Ich frage mich oft: Kann man das Drehen eines Filmes wirklich als Arbeit bezeichnen? Workingman's Death ist vielleicht eine Ausnahme, denn diesen Film zu drehen war schwere Arbeit, allein schon durch die weiten Reisen und die schwierigen Drehbedingungen.

Die Furche: Schwingen da Erinnerung an Eltern mit, die sich für ihre Kinder eine "anständige" Arbeit wünschen?

Glawogger: Ja, ich kenne das natürlich. Als Mick Jagger seiner Mutter gesagt hat, dass er Popstar wird, hat sie sich darüber wahrscheinlich auch nicht gefreut ...

Die Furche: ... aber in der westlichen Welt hat Arbeit immer weniger mit körperlicher Anstrengung zu tun ...

Glawogger: ... was daran liegt, dass wir diese Arbeit seit den 60er Jahren vermehrt abgegeben haben. Heute geben wir sie meistens in die Länder der so genannten Dritten Welt ab. Zum Beispiel in der Textilindustrie - bei H&M wären die Sachen nicht so billig, wenn man sie hierzulande nähen würde. Das sind bekannte Fakten. Die Arbeit verschwindet nicht, sie geht nur woanders hin.

Die Furche: Soll der Film als Hommage an die Arbeit gelesen werden?

Glawogger: Ja. Ich greife in dem Film auch die großen Industrialisierungsthemen auf: Ich besuche Schlachthöfe, zeige Minenarbeiter und Stahlerzeugung, stelle physische Anstrengungen in den Mittelpunkt. Als Hommage sehe ich den Film auch, weil ich die Arbeit sinnlich darstellen wollte. Von der Leinwand sollte spürbar sein, wie diese Schwerstarbeit funktioniert, wie schwer der Korb auf der Schulter lastet, wie man die Kohle aus dem Berg schlägt, und so weiter.

Die Furche: Sie verwenden für Ihren Film auch Ausschnitte aus sowjetischen Propagandafilmen, die die Arbeit und die Arbeiter verherrlichen.

Glawogger: Was mir im Propaganda- oder Arbeiterfilm aufgefallen ist: Die Arbeit selbst ist dort meist nie das Thema, sondern immer die Ideologie, die dahinter steckt. Das ist regimeunabhängig - egal ob das ein Film aus den 60er Jahren oder aus den 30er Jahren ist. Geändert hat sich die Ideologie nicht. Die Arbeiter wurden zu einer "Theologie" gemacht - und in meinem Film wollte ich das umkehren.

Die Furche: Ihre Kamera zeigt von Schwerstarbeitern stets ästhetische Bilder. Ist das noch "dokumentarisch"?

Glawogger: Die dokumentarische Kamera wird immer damit verwechselt, etwas Schnelles, Unpräzises zu sein. Für mich sind Dokumentationen ähnlich wie Spielfilme. Ich möchte genaue Bilder zum Thema machen, und will mir dafür auch Zeit lassen. Bei einem Fußballspiel oder in einem Krieg ist es wichtig, den Moment einzufangen, aber in dem Augenblick, wo man in den privaten Bereich von Menschen hineinfilmt, muss man genau beobachten, um wahrhaftig zu sein.

Die Furche: Wie haben Sie die einzelnen Stationen Ihrer Reise gefunden?

Glawogger: Ich begann mit der Geschichte der Arbeit, mit großen Arbeiterhelden, bin zu den Orten gefahren, wo diese gewirkt haben, habe verglichen, wie es dort heute ist. Manchmal habe ich mich auch treiben lassen. Ich bin zum Beispiel nach Nigeria gefahren, um Ölarbeiter zu finden und um auf Bohrtürmen zu drehen. Eines Tages sah ich, wie die Geier über der Stadt kreisen und fragte mich: Was ist denn dort? Da entdeckte ich, dass da ein riesiger Schlachthof war, und sofort änderte ich meinen Plan: Hier wollte ich drehen!

Die Furche: Der Sozialismus hat seinen Arbeitern Heldenstatuen errichtet. Fühlen sich die Arbeiter, die Sie besucht haben, als Helden?

Glawogger: Das ist unterschiedlich. Abseits der Kamera führen sie ein ganz normales Leben. Aber sie haben sehr wohl verstanden, was ich mit den Heldenstatuen aussagen will. Arbeiterdenkmäler stehen bis heute noch überall herum, und sie symbolisieren eine Bruchlinie zum heutigen desaströsen Leben der Arbeiter. In der Ukraine, wo ich meine Recherchen begann, existiert das größte Bergarbeitergebiet der Welt - und es gleicht einer Katastrophe. In jedem Ort gibt es ein Bergwerk, in größeren Städten bis zu zehn. Aber die Bergwerke sind alle kaputt oder voller Gas. Ich habe in illegalen Minen gedreht, die den Menschen nur noch zur Eigenversorgung dienen. Die Menschen sind verzweifelt und arbeiten auch ohne Lohn in staatlichen Bergwerken und decken dann noch die Gasmelder mit ihren Jacken ab, damit die Bergwerke nicht zugesperrt werden. Sie begeben sich täglich in Lebensgefahr, das ist fürchterlich.

Die Furche: Sie sollen ja auch versucht haben, in der voest zu drehen.

Glawogger: Ja. Ich überlegte lange, ob ich statt in China nicht lieber in der voest drehen sollte. Ich habe ein Ansuchen für eine Drehgenehmigung gestellt, das aber mit dem Verweis abgelehnt wurde, dass die voest vom Schwerstarbeiter-Image weg will. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das ist, wie wenn eine Hühnerfarm sagt, sie möchte weg vom Hühner-Image.

Das Gespräch führte Matthias Greuling.

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