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Nochmals Holocaust

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Natürlich hat „Holocaust“ am meisten wehgetan. Das war kein Stich mehr zu einem Wort, das war schon ein Schlag. Und zu einem Schlagwort ist dieses Holocaust auch geworden, es war ihm nicht zu entkommen in den letzten Tagen, gedruckt, gesprochen, gedacht fiel es über unseren müden Vorfrühling und es war ihm nur mit großer Mühe zu entgehen.

Ich hab's versucht. Ich war Pharisäerin und bemühte mich - mit Erfolg - mir einzureden, daß ich es ja nicht notwendig hätte, „das“ anzusehen, dieses quasi auf der Basis von „Der TV-Familie Glück und Ende“ gestaltete Grauen, verteilt über vier Heimabende, ich brauche das nicht, ich habe mich informiert, ich bin aufgeklärt über diese Zeit, ich bin durch das Lager Dachau gewandert, ich habe Dokumentarfilme gesehen. Zyklon B ist für mich keine Abkürzung für einen Wirbelsturm, ich habe Bücher gelesen, ich habe jüdischen Freunden Löcher in den Bauch gefragt, bis sie mich gebeten haben, damit aufzuhören.

Ich weiß so viel, daß ich nichtjüdische Freunde mit Fragen verschonen konnte. Aus den eher amorphen Ahnungen meiner Schulzeit in Wien wurde während meiner Lehr- und Wanderjahre in Deutschland dokumentierte Gewißheit, meine an sich hervorragende Schule hatte mich ja mit so gut wie keinem Wissen über die NS-Zeit ins Leben entlassen. Wie so viele andere Schulen so viele andere junge Menschen auch.

Also wozu „Holocaust“ für mich? Außerdem habe ich an allen vier Sendeabenden Vorstellungen, eine herrliche Ausrede, falls jemand es für eine Kulturschande halten sollte, es nicht gesehen zu haben. Aber an allen vier Abenden haben die Kolleginnen in der Garderobe im Theater einen tragbaren Fernseher stehen, zwischen Schminken, Frisiertwerden und Warten sehen wir also doch Teile. der Endlösung und ich merke, wie ich mit steifem Genick und blind vor Gedanken zum Auftritt laufe. „Also heut' ist für mich Schluß, jetzt geht's ma unter die Haut“, sagt jemand am zweiten Fernsehabend. Am Nachmittag desselben Tages meint mein zehnjähriger Sohn: „Mami, heute werden sie in diesem Hollo ... weißt eh', alle schon umgebracht und vergast, also hoffentlich kommen wenigstens die Jungen durch.“

Er hat keine Folge gesehen, weiß nur Handlungsfetzen aus Programmzeitschriften und Erzählungen, aber für ihn ist das Thema schon ein alter Hut, er tut mindestens so aufgeklärt wie ich, wir hatten schon vor eineinhalb Jahren ein langes Gespräch darüber. Also erkläre ich ihm nur noch das Wort Holocaust und er wandert zu seinen Indianderspielen.

Wozu war also das Ganze gut? War es Geschäft mit dem Grauen der jüngsten Vergangenheit, aufbereitet mit Originalphotos? Beim Überfliegen einiger Leserzuschriften zu „Holocaust“ in mehreren Zeitungen, kommt mir zu Bewußtsein, daß es doch notwendig war, und daß wir mit diesem Medium Fernsehen leben und leben müssen.

Wie wäre es, wenn wir es viel, viel mehr benützten und nützten? Fami-lienstories scheinen ihre Wirkung auf die Zuseher selten zu verfehlen. (Fast allen großen Dramen der Weltliteratur liegt übrigens eine Familiengeschichte zu Grunde.)

Wir haben die Geschichte der „Endlösung“ in vier Fortsetzungen zu sehen bekommen. Ich möchte eine Geschichte des Anfangs der Juden und ihrer Wanderung durch die Zeiten bis herauf in die Tage des heutigen Israel sehen, meinetwegen als Familiengeschichte, es wäre unser aller Geschichte. Von Anbeginn. Denn bis zu den Anfängen mußte ich zurücktauchen, um die verwirrendste Frage zu beantworten, die während dieser vier Fernsehabende an mich gestellt wurde: „Sagen Sie, warum hat sich keiner von den ganzen Juden gewehrt?“

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