Frühstücks-Künstler

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Eine Anstiftung zu Kreativität im öffentlichen Raum.

Wien, imMai: Vor dem Reiterdenkmal gegenüber der Nationalbibliothek ist ein langer Tisch aufgebaut. Fröhliches Geplauder bei Kaffee und Kuchen, Kinder spielen fangen, ein Dudelsack- und ein Drehleierspieler sorgen für die musikalische Untermalung. "Du, hast du Lust herzukommen? Das ist eine Kunstaktion, es gibt genug zu essen", lockt ein Jugendlicher via Handy weitere Frühstücker an. Eine ältere Passantin wird eingeladen, schwankt zwischen Furcht und Neugierde, gesellt sich schließlich doch zur fröhlichen Schar. Am Denkmal unter der Inschrift "Kaiser Franz Josef dem Erzherzog Karl" ist ein Schild angebracht: "permanent breakfast" steht darauf.

"Die Idee enstand im Mai 1996, als wir in einer Spontanaktion einfach einen Tisch vor die Karlskirche stellten und mit Freunden eine Flasche Wein tranken", erinnert sich Friedemann Derschmidt, der Initiator der Aktion, an die Anfänge seines immerwährenden Frühstücks. Weil damals das Feedback der Vorbeikommenden so enorm war, stiftete der Künstler seinen Bekanntenkreis bald gezielt zum Befrühstücken des öffentlichen Raumes an. Im Schneeballsystem (siehe Kasten) werden Gäste später zu Gastgebern, entstehen immer neue Konstellationen wildfremder Menschen, die einander am gemeinsamen Tisch auch emotional näher kommen.

Permanent Breakfast

Derschmidt: "Das Essen macht die Menschen offen, bietet den geeigneten Rahmen, um auch soziale Grenzen abzubauen, lässt Situationen entstehen, die man nicht planen kann." Wie etwa jenes berührende Gespräch eines Drogensüchtigen mit einer etwas verwirrten älteren Dame im Wiener Stadtpark vor einem Jahr ...

Am Heldenplatz verbindet neben dem kollektiven Schmaus auch die Jagd nach Servietten und Plastiktellern, die sich bei starken Windböen regelmäßig selbständig machen. "Wirklich, da bekommen wir auch was?", fragen zwei junge Frauen, einen kleinen Jungen an der Hand: "Das ist ja urlieb, ursuper ist das", findet die Mutter des Lockenschopfs, reibt sich vor Freude die gepiercte Nase, und probiert den Kuchen, den die Dame neben ihr von Zuhause mitgebracht hat. Ungläubig liest sie das Flugblatt, das in mehreren Sprachen aufliegt. Einige Touristen zücken aus sicherer Distanz ihre Kameras und fotografieren das bunte Treiben.

Mittlerweile ist das "permanent breakfast" schon auf fast alle Landeshauptstädte übergeschwappt. Öffentlich gefrühstückt wird auf Gehsteigen, in Parks und auf großen Plätzen genauso wie auf Bahnhöfen oder sogar in der U-Bahn.

Geben und Nehmen

"Ein Tisch in einer Parklücke transportiert natürlich eine andere Aussage als ein Tisch auf einer Grünfläche im Gemeindebau, die niemals benutzt wurde. Aber das permanent breakfast ist das Medium", betont Derschmidt.

Der Künstler sieht die Aktion auch als eine Möglichkeit, sich aus den gängigen Regeln der Konsumgesellschaft auszuklinken: "Es geht darum, ein Geben und Nehmen in Gang zu setzen und Menschen zur Kreativität zu animieren". Denn fix sei schließlich nur der Rahmen. Was der einzelne aus der Idee mache, bleibe ihm selbst überlassen. "In diesem Sinn werden die Gastgeber selbst zu Künstlern." Derschmidt erfährt von vielen Events nur durch Fotos, die er manchmal zugeschickt bekommt. "Wir wissen aber, dass sich die Idee bereits bis nach Oslo ausgebreitet hat." Die Zahl der bereits abgehaltenen Zusammenkünfte schätzt er auf mehrere Hundert.

Probleme mit der Polizei - nicht alle permanent breakfasts werden als Versammlungen auch angemeldet - habe es bislang kaum gegeben.

"Es geht mir darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass öffentlicher Raum für alle da ist. Gleichzeitig bedeuten die Frühstücks-Aktionen aber, sich der Öffentlichkeit mit allen Ecken und Kanten auszusetzen. Das kann natürlich nicht immer harmonisch abgehen", weiß der öffentliche Frühstücker aus Erfahrung. "Wenn zum Beispiel plötzlich eine Gruppe angeheiterter Halbwüchsiger auftaucht und sich zum Tisch setzt, muss man schon aufpassen, dass die Situation nicht eskaliert.

Über die Grenzen

Im sechsten Jahr von "permanent breakfast" rückt dessen Erfinder neben den gesellschaftlichen auch den örtlichen Grenzen zu Leibe: Zwischen 30. Mai und 11. Juni startet der Profi-Frühstücker mit einer Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen seine erste Tour an der österreichischen Grenze. Befrühstückt wird immer abwechselnd - sozusagen im Reißverschlusssystem - ein tschechischer und am darauffolgenden Tag ein österreichischer Ort. Das ermöglicht den Teilnehmern, einander zu einem Besuch ins Nachbarland einladen. Nach Tschechien stehen in diesem Jahr Ungarn und die Slowakei auf dem Programm.

Nächstes Jahr sollen auch Slowenien und die ehemalige Grenze zwischen West- und Ostdeutschland (Derschmidt: "In den Köpfen existiert diese Linie nach wie vor") einbezogen werden. Gespräche mit örtlichen Bürgermeistern seien bereits am Laufen.

International präsentiert sich auch die homepage des Projekts: Unter www.permanentbreakfast.org sind die Infos, darunter auch die genauen Spielregeln, bereits in zehn Sprachen abrufbar. Auch zahlreiche Fotos sowie ein Kurzvideo zeugen dort von einer regen Tätigkeit der Frühstücker.

Das Projekt

Die Kunst, Frühstück zu stiften:

Eine Person lädt zum Frühstück im öffentlichen Raum ein. Als Gegenleistung verpflichten sich die Geladenen, am folgenden Tag (oder an einem der nächst möglichen), jeweils selbst ein weiteres öffentliches Frühstück abzuhalten, dessen Gäste wiederum ehebaldigst frühstücken und so fort. Die Frühstückenden dokumentieren ihre Erfahrungen (Texte, Fotos, Video ...) und machen sie dann auf der Homepage öffentlich zugänglich (www.permanentbreakfast.org).

Ein Gedankenexperiment: Besteht das "Impulsfrühstück" aus fünf Personen - und wird diese Idee des permanent breakfast konsequent weitergetragen -, so frühstückt am 10. Tag bereits eine Schar von 1,6 Millionen Menschen.

Der Initiator

Friedemann Derschmidt wurde 1967 in Salzburg geboren und absolvierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien das Studium Irregulare "Kunst, Gesellschaft und Öffentlicher Raum". Der Produzent zahlreicher künstlerischer Dokumentarfilme lädt seit 1996 regelmäßig zum "permanent breakfast". Derscnmidt lebt und arbeitet in Wien.

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