"Keine Krise" an der Staatsoper

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dieFurche: In letzter Zeit war die Wiener Staatsoper - und auch Sie - massiver Kritik ausgesetzt. Zuletzt bemängelte der Kulturchef des ORF-Fernsehens, Wolfgang Lorenz, daß die Angebote der Staatsoper für das Hauptabendprogramm an Attraktivität zu wünschen übrig ließen. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?

Ioan Holender: Die Staatsoper wurde überhaupt nicht angegriffen. Sie wurde in den letzten Wochen von den Medien für die Auslastung und das Niveau der Arbeiten, die wir hier leisten, sehr gelobt. Meine Antwort an Herrn Lorenz können Sie im "Standard" nachlesen ... Sicher wird die Staatsoper nicht populäre Programme machen, die Herrn Lorenz interessant scheinen. Einen Musikantenstadel kann ich hier nicht anbieten. Wenn dem ORF auch außer der "Zauberflöte" und der "Traviata" alles zu wenig populär ist - das Publikum sieht das nicht so.

dieFurche: Sie fühlen sich vom ORF also stiefmütterlich behandelt?

Holender: Die gesamte Kultur wird vom ORF stiefmütterlich behandelt. Es ist ja jedem bekannt, woraus das Kulturangebot des ORF besteht, beziehungsweise was der ORF unter Kulturangebot versteht. Eine Sendung von eineinhalb Stunden über die Kommune des Herrn Mühl - wenn das das Kulturangebot ist ... Aber bitteschön, darüber haben andere zu befinden. Ich stelle nur fest, daß die Oper im ORF fast nicht und immer weniger präsent ist.

dieFurche: Einzelne Medien haben in letzter Zeit die Staatsoper kritisiert ...

Holender: ... Nein, nicht einzelne Medien - eine Zeitschrift. Ein Redakteur von "profil" hat Ende Dezember versucht, einen Killerartikel zu schreiben - mit Telefonaten um die ganze Welt, nur um irgend etwas Negatives zu erfahren. Ich kann die Betrachtungen eines Journalisten nicht ernst nehmen, der während der ganzen Spielzeit kein einziges Mal hier im Haus war.

dieFurche: "Ioan Holenders Alleinherrschaft an der Staatsoper wirkt sich künstlerisch immer durchschlagender als Katastrophe aus", schrieb etwa die deutsche Fachzeitschrift "Opernwelt".

Holender: Die "Opernwelt" ist für mich kein Medium. Wir sind in erster Linie ein internationales und ein österreichisches Opernhaus. Es ist nicht relevant, was Kritiker aus Hannover schreiben. Die deutschen Journalisten sind für mich nicht so wichtig wie jene aus London, New York und Mailand - die nie zitiert werden.

dieFurche: Auch in der angesehenen "Neuen Zürcher Zeitung" war zu lesen: "Die Staatsoper dümpelt vor sich hin. Sie ist heute eher eine touristische denn eine künstlerische Institution."

Holender: Ich könnte Ihnen die "Neue Zürcher Zeitung" zitieren mit einer Lobeshymne auf "Rienzi" ...

dieFurche: Steckt nicht hinter all diesen Polemiken der Kampf der Anhänger des Repertoiretheaters gegen jene des Stagione-Prinzips, die jede Aufführung höchstens eine Saison lang auf einer Bühne wissen wollen?

Holender: Das Repertoiretheater langweilt die deutschen Journalisten, die ein Stagione-Theater wollen. Das Ergebnis sieht man in Deutschland: Publikumsschwund, ein immer geringeres Angebot. Die Wiener Staatsoper ist kein Stagione-Theater.

dieFurche: Sie sind also ein glühender Anhänger des Repertoire-Betriebs?

Holender: Ich habe das Repertoiretheater nicht erfunden. Es ist mein kultureller Auftrag, dieses Haus als Repertoiretheater zu führen. Mit dem Orchester, das wir haben, können wir uns das künstlerisch auf hohem Niveau leisten. Eine Struktur zu zerstören, die sehr gut läuft, wäre das Dümmste, was man machen kann. Wenn es sich zeigen würde, daß das Repertoiretheater nicht angenommen wird, dann müßte man darüber diskutieren. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Man will eine Krise, die es überhaupt nicht gibt, hineininterpretieren. Die Wiener Staatsoper verkauft derzeit mehr Karten denn je. Die Auslastung durch verkaufte Karten beträgt 96 Prozent Warum sollte man das ändern? Mir ist das Publikum wichtiger als ein paar deutsche Journalisten.

dieFurche: Welche Schwächen hat das Repertoiretheater?

Holender: Das Repertoiretheater hat selbstverständlich seine Schwächen. Aber ich verweigere das Postulat, daß eine Inszenierung umso schlechter ist, je älter sie ist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder inszeniert man die Standardopern des Repertoires immer neu - dann bleibt das Angebot immer dasselbe. Oder man macht es so, wie ich es seit meiner Ernennung praktiziere - das Repertoire verbreitern und Opern bringen, die hier seit sehr langer Zeit nicht zu sehen waren. Mir ist es wichtiger, "Rienzi" oder "I Vespri Siciliani" neu zu inszenieren, als "Tosca", "Madame Butterfly" oder "La Boheme".

dieFurche: Wird das Repertoire- vom Stagione-Prinzip verdrängt werden?

Holender: Ich bin kein Prophet. Ich weiß nur, daß es jetzt sehr gut geht. Es ist viel schwieriger, ein Repertoiretheater zu führen, man muß viel mehr Fachwissen haben, um ein Ensemble aufzubauen, als nur zwanzig Opern pro Saison zu spielen. Öfters als zehnmal kann man aber in Wien keine Oper in Serie spielen. Statt an 300 Abenden würde dann nur noch an 200 oder 150 gespielt. Das ist möglich, das ist auch viel leichter - aber würde bei weitem die Gelder nicht rechtfertigen, die wir brauchen, um die Wiener Staatsoper als das zu erhalten, als das sie international gilt.

dieFurche: Was wird die geplante Ausgliederung der Wiener Staatsoper aus dem Bundestheaterverband bringen?

Holender: Die geplante Ausgliederung der Staatsoper wird im Angebot und in dem, was am Abend auf der Bühne zu sehen ist, nichts anderes bringen als jetzt. Wenn sie richtig gemacht wird, dann wird sie eine größere Beweglichkeit im finanziellen Bereich ermöglichen, als das jetzt der Fall ist. In der jetzigen Struktur zum Beispiel ist es nicht möglich, finanzielle Reserven anzulegen.

dieFurche: Werden Sie das Haus am Ring bis ins Jahr 2005 leiten oder nicht?

Holender: Das ist praktisch entschieden. Wenn sich nichts Strukturelles hier ändert, werde ich es tun.

Das Gespräch führte Michael Kraßnitzer.

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