Neue Dimension der Wissensgesellschaft

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Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft hat Open Access zur Priorität erklärt: In den nächsten Monaten werden die Weichen für einen radikalen Wandel des wissenschaftlichen Publikationssystems gestellt. Was bedeutet der freie Zugang zu sämtlichen Studiendaten?

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Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft hat Open Access zur Priorität erklärt: In den nächsten Monaten werden die Weichen für einen radikalen Wandel des wissenschaftlichen Publikationssystems gestellt. Was bedeutet der freie Zugang zu sämtlichen Studiendaten?

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Ende letzten Jahres ließ die Vereinigung der forschungsstärksten europäischen Universitäten (LERU) den großen Wissenschaftsverlagen eine Drohbotschaft ausrichten: "Christmas is over. Research funding should go to research, not to publishers!"(Weihnachten ist vorbei: Forschungsförderung sollte in der Forschung ankommen, nicht bei den Verlegern!) Die niederländischen Universitäten wiederum drohten dem Verlagsweltmarktführer Elsevier mit Boykott. Und die hoch renommierte Max-Planck-Gesellschaft veranstaltete eine internationale Konferenz mit über 70 Wissenschaftsorganisationen, bei der diskutiert wurde, wie man die wissenschaftliche Literaturversorgung vom Kopf auf die Füße stellt.

Worum geht es? Wie fast immer, ums Geld. Aber um noch viel mehr, nämlich um den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Internet (Open Access). Um das zu verstehen, muss man einen Blick auf das wissenschaftliche Publikationssystem werfen. Forschung, insbesondere Grundlagenforschung, wird überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert. Wollen Wissenschafter dann ihre Arbeiten veröffentlichen, schicken sie diese an Verlage. Diese beauftragen wiederum andere Wissenschafter (Peers), die Arbeiten zu beurteilen. Weder die Autoren noch die beurteilenden Peers bekommen dafür in der Regel ein Honorar.

Die Sicht der Steuerzahler

Die Verlage erstellen und vertreiben dann die Publikationen im Internet und als Print-Version, und verkaufen sie zumeist an Bibliotheken von Forschungsinstitutionen. Bei der Preisgestaltung kommt den Verlagen zugute, dass Wissenschafter in ihrer Karriereentwicklung -als Autoren wie auch als Leser - auf bestimmte Fachorgane existenziell angewiesen sind. Die Folge: Einige wenige Großverlage erzielen mit die höchsten Profitmargen in der Wirtschaftswelt -und das für einen Prozess, der im Wesentlichen von den Steuerzahlern finanziert wird, zu dem diese aber bislang keinen Zugang hatten. Open Access möchte das ändern. Selbstverständlich sollen Verlage auch weiterhin für ihre Leistungen entlohnt werden, die Publikationen sollen dann aber für alle entgeltfrei im Internet zur Verfügung stehen.

Das hat nicht nur für die Wissenschaft offenkundige Vorteile. So erhalten auch Personen und Institutionen Zugang zu neuesten Forschungsergebnissen, die sich das ansonsten nicht leisten könnten. Gerade für wissensintensive Berufe wie Ärzte, Lehrer, Journalisten oder kleine Unternehmen ist das von enormer Bedeutung. Es muss doch absurd anmuten, wenn der Wissenschaft immer wieder eine steuerfinanzierte Elfenbeinturm-Mentalität vorgeworfen wird, sie aber ihre wichtigsten Resultate nicht einer breiteren Öffentlichkeit vorzeigen kann.

Die Sache gerät nun in Bewegung: So hat die derzeitige niederländische EU-Ratspräsidentschaft Open Access zur Priorität erklärt. Sie will in den nächsten Monaten die Weichen stellen, damit das Publikationssystem so schnell wie möglich umgestellt wird. Österreich, das ja den Anspruch erhebt, zu den Innovationsführern in der Wissenschaft aufschließen zu wollen, hat hier viel beachtete Vorarbeit geleistet.

So verfolgt der österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) schon seit Jahren Open Access als strategisches Ziel, sodass ihm von einer EU-Studie attestiert wurde, eine der international effektivsten Politiken zu betreiben. Weiters konnten über eine Kooperation von FWF, Universitätenkonferenz, Bibliotheken und Wissenschaftsministerium die weltweit ersten Abkommen mit Großverlagen geschlossen werden, die es Forschern aus Österreich erlauben, Open Access zu publizieren.

Und nicht zuletzt hat eine Expertengruppe des "Open Access Network Austria"(OANA), das 55 Organisationen unter seinem Dach vereinigt, erst jüngst konkrete Empfehlungen formuliert, wie das gesamte wissenschaftliche Publikationssystem in Österreich binnen zehn Jahren auf Open Access umgestellt werden kann. Führende Forschungsnationen wie Schweden, Dänemark oder Norwegen haben sich bereits diesem Zeitplan verpflichtet.

Einbindung der Zivilgesellschaft

Open Access ist aber letztlich nur ein Teil einer größeren Bewegung, die man als Open Science bezeichnet. Open Science zielt darauf ab, möglichst alle Prozesse des wissenschaftlichen Arbeitens frei zugänglich und transparent zu gestalten: von der Entdeckung über die Forschungsdaten und die Publikationen bis hin zu den nachfolgenden Evaluationen. Dabei handelt es sich nicht um ein naives "offen und gratis für alle", vielmehr berührt es den Kern der Wissenschaften. Es ist ja gerade die Essenz moderner Forschung, dass ihre Resultate repliziert, verifiziert, falsifiziert, diskutiert und dann für diverse Anwendungen weiterverwendet werden können.

Diesem Ideal lässt sich aber nur näherkommen, wenn möglichst alle wissenschaftlichen Prozesse frei zugänglich sind. Mit der technischen Revolution der Digitalisierung und des Internets stehen dafür nun geeignete Mittel zur Verfügung. Das bedeutet auch, die Partizipation zu fördern und die Zivilgesellschaft stärker in den Wissenschaftsprozess mit einzubinden (Citizen Science). Damit lässt sich letztlich ein breiteres gesellschaftliches Verständnis für die Wissenschaft erreichen -aber auch ihre Nutzung durch die Gesellschaft vervielfachen.

| Der Autor ist Leiter der Strategieabteilung beim öst. Wissenschaftsfonds (FWF) |

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