Spiritualität, Selbsttranszendenz - oder Spirit?

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Am Wiener Schauspielhaus stellt man sich Paul Claudels Tetralogie "Der seidene Schuh“. Keine geringe Herausforderung - eine gewisse Ratlosigkeit ist denn auch spürbar.

Das Wiener Schauspielhaus macht sich Gedanken zu Transzendenz, Weltuntergangsentwürfen und einer modernen Gesellschaft. Immerhin soll der Maya-Kalender für Dezember 2012 das Ende der Erde vorhersagen und Apokalyptiker halten trotz gegenteiliger Prognosen daran fest. Jedenfalls rechtzeitig stellt das Schauspielhaus Fragen, die auch noch im Jahr 2013 von Interesse sein könnten: Was bedeuten Glaube und Transzendenz in einer säkularisierten Welt - wo dem Transzendenten Mystisch-Mythisches nicht mehr beiwohnen soll? Ersetzen Yoga-Meditationen das Rosenkranz-Gebet? Und wie verhält es sich mit der Dualität von Körper und Seele?

Seinem Konzept der Serie treu bleibend, folgt das Schauspielhaus heuer den Spuren des französischen Dichters und Diplomaten Paul Claudel (1868-1955) und bringt dessen Hauptwerk "Der seidene Schuh oder Das Schlimmste trifft nicht immer zu“, eine "spanische Handlung in vier Tagen“, in ebensovielen Teilen auf die Bühne. Claudels komplexes Stück behandelt im Kern zentrale Fragen zu Diesseits- und Jenseitsentwürfen anhand der unerfüllten Liebesgeschichte zwischen der unglücklich verheirateten Doña Proëza und dem Eroberer Don Rodrigo. Den historischen Rahmen bildet die Regentschaft des spanischen Habsburgers Philipps II. im späten 16. Jahrhundert.

Eros und Gottverlangen

Claudel, der als bedeutendster Dichter des "Renouveau catholique“ gilt, litt selbst an einer unerfüllten Liebe. Auf der Überfahrt nach Shanghai hatte er sich in eine verheiratete Frau verliebt; als sich die beiden nach Jahren wieder trafen, einigten sie sich auf die Erfüllung ihrer Sehnsüchte im Jenseits. Damit lässt sich vereinfacht annehmen: Claudel sublimierte seine Gefühle und verarbeitete sie in epischer Breite. Zwischen 1919 und 1924 entstand diese umfassende, kaum gespielte Tetralogie, welche die Liebe als Eros und zugleich als mystisches Gottverlangen thematisiert.

Ob es dem Schauspielhaus gelingt, mit jeweils vier Autoren und Regisseuren diesen großen Unbekannten der Theaterliteratur dem Publikum näher zu bringen, bleibt ungewiss. Setzt sich doch die Ratlosigkeit allein schon bei der Begriffsauswahl von Transzendenz, Spiritualität, Spirit und Religiosität durch und in der szenischen Umsetzung fort. Denn: Wie lässt man Engel, Heiligenfiguren und Gestirne gleichwertig neben Menschen auftreten, wie vermitteln sich heute Claudels christliche Glaubenswahrheiten?

Die erste Folge mit dem Titel "Die Glückspilger“ hat der 29-jährige Dramatiker Thomas Arzt bearbeitet. Der gebürtige Schlierbacher, der das dortige Stiftsgymnasium besuchte, hat sich mit der Überfrachtung und der barocken Präsenz katholischer Symbolik auseinandergesetzt. Zugleich betont er, dass für ihn "glauben zu einem großen Teil auch zweifeln heißt“. Dementsprechend nimmt Arzt das Glaubensbekenntnis als Textgrundlage und verfremdet es: "Es handelt sich um ritualisierte Sätze. Ich habe aus Behauptungen Fragen gemacht.“

In Gernot Grünewalds Inszenierung zeigt sich jene Szene als die stärkste. Doch auch der Anfang, der dieses Schweben zwischen Glauben und Zweifeln mittels des gefallenen Engels konkret macht, zeigt Arzts Kraft: Er denkt Claudels Vorlage weiter. Mit Handkamera und Windmaschine imaginiert die Regie den Fall des Engels; Theatermittel, die an dieser Stelle sinnvoll, später allerdings nur mehr rein dekorativ eingesetzt werden.

Von Thomas Arzt klug gedacht ist auch die Protagonistin Doña Proëza, die ihren seidenen Schuh der Jungfrau Maria als Symbol ihrer Liebesentsagung opfert. Für Arzt ist dies zugleich Selbstbestrafung (ab nun ist sie barfuß und hinkend), als auch Ausdruck ihres Wunsches nach Freiheit. "Es handelt sich ja um einen seidenen Schuh, dem aristokratischen Reglement angepasst, gegen das Doña Proëza revoltiert. Auch legt sie ihre Halskrause immer wieder ab, um sich aus dem Gefängnis dieser unglücklichen Liebe zu befreien.“

Entsagung und Rebellion

Johanna Elisabeth Rehm hüpft im Schauspielhaus - von Antonio Vivaldi musikalisch begleitet - an der Wand entlang, an die ein überdimensionales Mutter-Gottes-Bild projiziert ist. Erst nach mehrmaligen Versuchen gelingt es ihr, den Schuh in einen Haken unmittelbar vor deren Bildnis zu hängen. Dort bleibt er sichtbar, als Indiz der Entsagung und Rebellion, als titelgebendes Motiv.

Trotz einzelner überzeugender Momente gelingt Grünewald keine stimmige Inszenierung: Inhomogen und eklektizistisch geht er an den Stoff heran. Manchmal treten die Figuren ganz aus ihrer Rolle heraus, finden private Töne, dann wieder wird großes Pathos persifliert sowie imaginiert. Die große Ratlosigkeit hat sich insgesamt durchgesetzt.

Weitere Termine

23., 25., 27. Oktober, 13., 15., 17. November

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