Die Debatte um die Atomkraft wird von politischen Parteien in Österreich und Deutschland instrumentalisiert. Für die Diskussion insgesamt ist das das Gegenteil von nützlich.
Die österreichische Atomdebatte bietet ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie problemlos sich das Hickhack von der täglichen politischen Tiefebene auf Zukunftsfragen übertragen lässt, die eigentlich einer besonders behutsamen Herangehensweise bedürften.
Ostermontag beispielsweise war Demonstrationstag in Wien. Anti-Tschernobyl - Anti-Fukushima - und Anti-Atomkraft generell stand auf dem Spickzettel der Organisatoren. Das klang zwar nicht wert- aber doch politikfrei, vor allem weil die Umweltschutzorganisation Global 2000 eingeladen hatte. Immerhin ließ der Aufruf 4500 Menschen auf dem Stephansplatz zusammenströmen. Auf dem Podium sprachen Vertreter von Global 2000, Eva Glawischnig von den Grünen und Kanzler Werner Faymann von der SPÖ. Nur einer durfte nicht sprechen: der zuständige Ressortminister Nikolaus Berlakovich. Warum? Weil der Minister er laut Global 2000 "nicht unsere Anliegen vertritt“. Der wahre Grund jedoch war augenfällig. SPÖ-nahe Gruppen wie ÖGB und Junge Generation waren mit ihren Hundertschaften und Großtransparenten aufmarschiert.
Wer politische Pausbilder sucht, wird in Deutschland schnell fündig werden, wo sich die SPD längst als Speerspitze der Anti-Atom-Bewegung aufgedrängt hat.
Der Debatte als Ganzer tut das allerdings nicht gut. Denn sie entwertet sich selbst, wenn die gutgläubige Massenbewegung in den Geruch kommt, von Parteisekretariaten gesteuert zu werden. Wenn man schon Parteien bevorzugt, dann müsste konsequenterweise auch die Regierungspartei SPÖ den Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag anstreben, was sie ebenso wenig tut wie die vielgescholtene ÖVP.
Im Parteienstreit gehen so aber die wichtigsten Fragen unter, die ganz Europa diskutieren sollte. Etwa, was die EU-Regierungen eigentlich genau unter "Stresstests“ für ihre AKWs verstehen. Nach vorliegenden Plänen wird menschliches Versagen nämlich ebenso als mögliche Unfallursache ausgeklammert wie die Möglichkeit eines Terrorangriffs.
Die fehlende Strategie
Allein: Bloß um festzustellen, dass die Tsunami- und Erdbebenwahrscheinlichkeit in Europa geringer als in Japan ausfällt, dazu bräuchte es eigentlich keines "Stresstests“. Nach den bisherigen Vorgaben dürfte das aber wohl das Hauptergebnis der EU-weiten Studie sein. Vollkommen aus dem Blickpunkt geraten ist die Erhöhung der Reaktorsicherheit über EU-weite Sicherheitsstandards. Tatsächlich wären ja die meisten Reaktoren in den neuen EU-Mitgliedsländern vom Netz zu nehmen, müssten sie die französischen Sicherheitsvorschriften erfüllen.
Ganz zu schweigen davon, dass weder die protestierende SPÖ noch die ÖVP bisher ein Szenario für das von ihnen angeblich erwünschte europaweite Ausstiegsszenario vorgelegt haben. Ohne einen solchen Plan vorweisen zu können, werden aber die Rufe nach einem Stopp der Kernenergie Lippenbekenntnisse bleiben, ob am Stephansplatz oder vor den Mikrophonen in Brüssel.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!