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Der Watschentanz

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Wo gehobelt wird, da fallen Späne. In dieser Volksweisheit liegt offenbar für manche Bayern die Rechtfertigung für ihre Grobheiten an die Adresse Österreichs. Wer gegen Wackersdorf Bedenken hat, ist entweder ein Ignorant, dem seine Hysterie den Rest an Denkvermögen raubt, oder er hält es überhaupt mit jenen Abenteurern bei der SPD oder den Grünen, die das Industrieland Bundesrepublik zugrunde richten wollen. Weißblauer Landtagswahlkampf, grobgestrickt. Zimperliche Seelen sind hier fehl am Platz.

Doch muß das sein? fragt sich der staunende Betrachter. Was auf den ersten Blick als grimmige Provinzposse erscheint — Hereinspaziert! Gegeben wird „Das schröckliche Scharmützel an Inn und Isar anno '86 —, könnte auf Dauer doch zur bitteren Belastung werden. Sie gilt es abzuhalten. Zu wichtig ist die Freundschaft unter Nachbarn.

Das gilt gewiß auch für so manche Österreicher. Seien wir selbstkritisch, um kritisch sein zu können. Trübten nicht Nabelschau und Selbstgerechtigkeit bisweilen den Blick dafür, die Eigendynamik des Wahlkampfes in Bayern zu bedenken? Die CSU, von Stimmverlusten bei der Oktoberwahl bedroht, konnte auf Österreichs Attacken gegen Wak-kersdorf wohl kaum mit feingesponnener Poetik reagieren. Aus Münchner Sicht entrüsten sich die Österreicher — moralisch aufgeplustert kraft ihrer Vaterlandsreliquie, des legendären Nein zu Zwentendorf — zu Unrecht über Wackersdorf. Die Österreicher übersehen halt, so heißt es, daß die Wiederaufbereitungsanlage eine rechtsobligatorische Entsorgungs-Zwischenstufe darstellt, zugleich aber bezögen sie unschuldig-schelmisch Atomstrom aus dem Ostblock oder Bayern. Ein Doppelspiel der austriaki-

schen Schlawiner.

Zugegeben, präzise Distinktio-nen sind unsere Sache nicht. Der Österreicher „fühlt das Halb-Gedachte“ (Grillparzer). Doch sind die Proben bayerisch-politischer Wesensart so viel erfreulicher? Da die Angstwelle nach Tschernobyl in eine Protestwelle gegen Wackersdorf zu münden drohte, griffen die wackeren Wahlkämpfer zu einem Mittel, das sie sonst bei den Linken ganz abscheulich

finden: die „Umfunktionierung“ einer Auseinandersetzung.

Kann man es Staatskunst nennen, die Angst vor der nicht voll beherrschbaren Atomkraft flugs in die Angst vor „Staatszerstörern“ und Chaoten umzuwandeln? Natürlich: die vazierenden Krawallmacher in deutschen Landen sind kein Phantom; der Trupp hat anderes im Sinn, als für den Schutz des Lebens einzutreten. Doch welche Unverschämtheit, friedliche Demonstranten wider besseres Wissen mit den Vermummten in den gleichen Topf zu werfen. Im übrigen steht es Katholiken durchaus frei, in Sachfragen, die keine Glaubensfragen sind, zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen. Diese Meinung als Österreicher öffentlich zu demonstrieren: Kann das als Einmischung bezeichnet werden, nachdem die Tschernobyl-Wolke Grenzen und Souveränitäten mitnichten akzeptierte?

Was wollen denn die Anti-Wak-kersdorf-Kundgebungen der Österreicher anderes bewirken als jene „Besinnungspause“ zu erreichen, für die sich Bundespräsident von Weizsäcker nach der Re-' aktorkatastrophe ausgesprochen hatte. Auch demokratiepolitisch wäre der Versuch einer vernünftigen Güterabwägung (mit offenen

Ohren für die Argumente aller Seiten) angebracht. Tschernobyl war eine Zäsur in der Erkenntnis, die auch zur Zäsur im Handeln werden sollte.

Moralisch ist die Sache dabei einfacher zu sehen als politisch. Auch bei der Kernkraft kann es absolute Sicherheit nicht geben. Es bleibt ein „Restrisiko“, dessen sträfliche Verharmlosung Tschernobyl erwiesen hat. Die Risikostudie der Bonner Regierung von 1979 besagt (am Beispiel Biblis), daß bei einem Super-GAU 100.000 Tote und die Verseuchung Tausender Quadratkilometer zu befürchten seien. Die Wahrscheinlichkeit mag winzig sein, die Schadensfolgen aber sind so schrecklich, daß die sonst übliche mathematische Verbindung der Faktoren Risiko und Folgen nicht erlaubt erscheint. Zudem werden auch kommende Generationen mit Gefährdungen belastet, die zu irreparablen Schäden führen können. Verantwortung im Sinne personaler Haftung wird hier denkunmöglich.

Konkretes Handeln freilich findet nicht im freien Raum des Geistes statt. Politisch stoßen sich die Dinge hart im Raum. Den sofortigen Ausstieg aus der Kernkraft zu verlangen, zeugt von Blindheit. An schlimmere Umweltschäden, durch Kohle-Altanlagen etwa, ist zu denken, an den Verlust von Arbeitsplätzen durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, an Strompreis, Lebensstandard. Hier gibt es Argumente pro und contra, auch die parteiische Sicht von Interessengruppen, in deren Windschatten zugleich die Eigeninteressen vieler Wissenschaftler. Letztlich kann sich das sittliche Handeln von Politikern nur in einer vernünftigen Güterabwägung erweisen: Konkret meint dies einen geordneten Rückzug aus der Kernkraft.

Der Autor ist Präsident der Katholischen Aktion, Österreichs.

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