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Die beliebte „rustikale Note“ in Wohnräumen und Nobellokalen isl etwas, das dem Volkskundler und dem wahren Sammler oft Nerven-

schmerzen verursacht, wenn sie zu der mit Gschnas und unechten Nachempfindungen durchsetzten Schablone eines modischen Pseudostils wird. Sa wie der Massentourismus unserer Epoche eine mit oberflächlicher Neugierde fingierte Ver-ständnislosiigkeit in hellen Scharen durch Museen und Kathedralen schleust, so setzte der Run von Arrivierten auf den schon fast sprichwörtlichen „Bauerndachboden“ ein. Der Direktorengeschmack verlangt nach dem bemalten Barockschrank als Behältnis für die Hausbar, nach der geschnitzten Truhe als Konsole fürs TV-Gerät, nach Ochsenjochen als Lustern. Nicht die Eigenart bäuerlichen Erbgutes ist entscheidend, sondern seine Eignung als Folie, wenn es sein muß in krasser Zweckentfremdung.

Für den berufenen Sammler aber, der mit Liebe und auch einem gewissen Respekt vor dem Erworbenen Zeugnisse der Volkskultur zusammenträgt, doch auch für den Kenner, den die Zusammenhänge mit der allgemeinen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte interessieren ist Leopold Schmidts großangelegtes Werk „Volkskunst in Österreich“ eine Fundgrube an sachlicher Information, Hinweisen und Anschauungsmaterial. In souveräner Weise gliedert der Altmeister der volkskundlichen Forschung den umfassenden, alle Bereiche des bäuerlichen und handwerklichen Lebens und Hauswesens mehrerer Jahrhunderte einschließenden Stoff. In klarer sachlicher Diktion geht er von Untersuchungen über Formprinzipien, funktionelle Bestimmung und Sinngebung aus, die eng mit gewissen Grundmotiven der Symbolik verbunden sind Ausführlich werden dann die einzelnen Kategorien volkskünstlerischer Betätigung behandelt, wobei der ausgezeichnete Bildteil vor allem eine überzeugende Präsentation vieler Exposita aus dem österreichischen Museum für Volkskunde ist und die ganze Spannweite des Begriffes Volkskunst aufzeigt. Die Skala der Wertgrade auch, reicht sie doch vom verzierten Gebrauchsgegenstand des Alltags bis zu individuellen Schöpfungen reicher barocker Phantasie und Gestaltungskraft. Oder um Leopold Schmidt zu zitieren: „Die Vielfalt, die Vielschichtigkeit der Gesamterscheinung .Volkskunst' läßt sich nicht von einem einzigen Blickpunkt aus erfassen, geschweige denn verstehen.“ Welche innerliche und formale Distanz trennt zum Beispiel die primitiv gemalten Bienenstock-brettchen von den prachtvollen geschnitzten Pinagauer Kasten oder den nach einem genau durchdachten Programm der figuralen und dekorativen Darstellungen bemalten Stubenkasten au« Oberösterreich!

Hier trifft der Autor die Scheidung zwischen eigentlicher Volkskunst und „Randbeständen“, die der Bewahrungsgedanke der frühen Volks-

kundeforschung aber dem Gesamtkomplex zuordnete und legitimierte. Der Band ist ein Standardwerk, die Liste aller österreichischen Museen mit Objekten alter Volkskunst und das Literaturverzeichnis regt den Leser zu weiteren speziellen Studien jener Teilgebiete an, die ihn besonders interessieren.

Als kenntnisreicher Amateur im unmittelbaren Sinn dieses Wortes verfaßte Helmut Nemec, ein Wiener Arzt und Sammler, das Buch „Alpenländische Bauemkunst“, zu dem Karl Heinrich Waggerl ein hintersinniges Geleitwort über den Käufer alter Bauernmöbel beisteuerte, den er, im übertragenen Sinn, als Erben auffaßt. Thematisch ergeben sich gewisse Parallelen zu der Arbeit von Schmidt, nur geht Nemec feuilletonistischer vor, er bietet sein gründliches Wissen und seine Erfahrungen in anderer „Verpackung“, wendet sich unmittelbarer an Sammler, die er orientieren will und für die er auch die Frage des Wohnens mit alten Bauernmöbeln mit der Stilsicherheit eines Innenarchitekten erörtert. Die Gestaltung des Bandes ist beispielhaft, ebenso die Auswahl der Photos typischer Objekte — darunter viele wahre Schätze, die jeden Kenner in Entzücken versetzen. Mit diesen Aufnahmen erweist sich der Autor auch als weit überdurchschnittlicher Photograph. Ein KJunstbuch aus einem Guß. Auf seine persönliche Art setzt Dr. med. Nemec mit Erfolg die wienerische Tradition der musischen Mediziner fort.

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