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Zwischen Hobby und Volkskunst

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Ist Volkskunst erlernbar? Ich bin versucht, kurz und bündig zu antworten: Nein. Aber die Frage bleibt: Was meint Volkskunst? Meint sie die Kunst des Volkes? Die Kunst des einfachen Mannes? Ich antworte auf eine Frage, die vor allem dem Volkskundler als zuständigem Fachmann zu stellen wäre. Ich antworte als Praktiker, der seine Praxis im Anschauungsunterricht als Pfarrer in einer Kleinpfarre mit jetzt nur mehr 240 Einwohnern — und dies seit dreiundzwanzig Jahren — bezog und bezieht, und natürlich auch als Initiator und Leiter des

„Kunst- und Bildungszentrums Stift Geras“, von dem seit 1970 sogenannte Hobbykurse veranstaltet werden.

Es war ein Mann des Volkes, ein Bauer, der als Lehrmeister den ersten Kurs für Hinterglasmalerei im Stift Geras leitete. Stephan Eder aus der Nähe von Freistadt in Oberösterreich hatte sein Handwerk von seinen Altvorderen erlernt; er war also der klassische Vermittler für Volkskunst. Wurde sie als solche verstanden und aufgenommen?

Die damalige Kursausschreibung rief spontanes Echo hervor. Dreißig Teilnehmer begaben sich für eine Woche in die Schule des Bauern Eder. Damals, 1970, waren das Interesse und die Vorhebe für diese Bilder, die nach der Technik der Künstler des Dorfes Sandl gemalt wurden, sehr groß. Das Publikum war bunt gemischt, es enthielt Teilnehmer aus allen sozialen Schichten, mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen.

Sie alle legten die Risse seitenverkehrt hinter eine Glasplatte und kopierten sie. Die Farbtöne waren vorgegeben. Am Ende gab es Hinterglasbilder nach Art der Sandltechnik, deren Vorlagen aus dem 19. Jahrhundert stammten, bäuerlich anmuteten und die 1970 entstanden waren — eine perfekte Technik, die legitim noch in unseren Tagen benutzt wird und die geeignet ist, als Technik auch für den Ungebildeten ein Medium, sein Empfinden auszudrücken.

Unter den damaligen Schülern gab es nach meiner Erinnerung keinen, der selbständig Volkskunst schuf. Die talentierteren Kursteilnehmer gingen, soweit ich es verfolgen konnte, zur Serienfabrikation über oder fabrizierten in der Sandl-Technik allerlei Heilige und Namenspatrone, die man meines Erachtens mit bestem Willen nicht der Volkskunst zuzählen könnte.

Eine Weiterführung dieser Hinterglastechnik wird in der Zwischenzeit in unserem Kursprogramm angeboten. Ich kann darin aber keine Volkskunst sehen.

Im Verlaufe der letzten sechzehn Jahre ist die Palette unseres Kursangebotes in Geras erheblich erweitert worden, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Kunst-(Mal- und Zeichen-)Kur-sen, sondern auch unter der Rubrik „Volkskunst“. Unter letzterer sind neben Hinterglasmalerei auch Bauernmalerei, Schnitzen und so weiter für Liebhaber ausgeschrieben. Obwohl alle Teilnehmer das ABC alter Volkskunst lernen, unterscheiden sich alte und neue Objekte grundlegend. Die Kopien sind perfekt, aber kein Ausdruck unmittelbarer Empfindung und eigener Darstellungskunst. Trotzdem halte ich die Schulung in diesen handwerklichen Fertigkeiten für gerechtfertigt, weil sich auch Menschen unserer Tage wieder zutrauen, etwas eigenhändig zu gestalten, selbst wenn es nicht unverfälscht und spontan Ausdruck der eigenen Persönlichkeit werden kann.

Meist gelingt den Teilnehmern später der Umstieg zu den Zeichen- und Malkursen. In diesen sind dann am ehesten diejenigen anzutreffen, deren Feder oder Pinsel Werke entstammen, die laienhaft und trotzdem - im Sinne von Volkskunst - künstlerisch wertvoll sind.

Während im Kopieren und im Bemühen, sich an alte Vorlagen zu halten, die Perfektion in der Wiedergabe vorherrscht, zeigen sich in diesen Kunstkursen viele Talente, deren Begabung eben in der Unmittelbarkeit, Inhalte zu erfassen und in deren Wiedergabe besteht. Trotzdem meine ich, daß es sich hiebei um Ausnahmen handelt.

Ich bleibe also bei meinem „Nein“ zur Frage, ob Volkskunst erlernbar ist. Wirkliche Volkskunst entsteht im Volk, sie bedarf der Gemeinschaft des Volkes. Ich denke dabei auch an die Musik. In den Dörfern — das ist meine Erfahrung als Pfarrer im Waldviertel—bleibt keine Zeit mehr. Obendrein dreht man lieber das Radio auf oder den Fernseher, dort wird alles in Perfektion geliefert - dies ist ein weiterer Grund, nicht mehr selber ein Instrument in die Hand zu nehmen. Das heißt gleichzeitig, daß keine Veranlassung und keine Notwendigkeit mehr besteht, in der Familie oder in der Dorf ge-meinschaft Bilder zu malen, eine Fassade zu gestalten und für die Geselligkeit etwas einzubringen.

Trotz dieser negativen Aussagen sei eines festgehalten: Bei sehr vielen Menschen aller Altersklassen und der unterschiedlichsten Berufsstände besteht der echte Wunsch, sich mit Kunst zu beschäftigen. Sie möchten — für ihre Selbstverwirklichung — etwas entwerfen, etwas schaffen, etwas hervorbringen. Dafür ist die Kunst ein geeignetes Medium. Weil die Hochkultur wenigen Zugang zu eigenständiger Tätigkeit bietet, beginnen viele mit jenen Techniken ihre Auseinandersetzung mit Malerei oder auch Musik, die uns überliefert und teilweise der Uberlieferung des Volkes entlehnt sind. Auf diesem Wege gelingt dann einzelnen der Vorstoß zur Eigenständigkeit, die man vielleicht für Volkskunst halten könnte: eine Kunst im Volk auch im Jahre 1986. Nur durch diese so breit gestreute Auseinandersetzung mit Kunst können jene genialen Künstler hervortreten, die es uns leichtmachen, zwischen der Kunst des Volkes und der Kunst des Künstlers zu unterscheiden.

Der Autor ist Leiter des Bildungszentrums Stift Geras und Abt des Stiftes.

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