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Heraus aus dem Dunst der Volksküche

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Oesterreich hat einige wissenschaftliche Bibliotheken von Weltruf aufzuweisen. Aber es hat kein einziges selbständiges Gebäude einer volkstümlichen Bücherei, es hat keine Büchereischule, es hat nicht einmal eine staatlich anerkannte (und geförderte) Ausbildungsbücherei. Es hat auch ,ke'in Büchereigesetz, das bei uns auf besondere verfassungsmäßige Schwierigkeiten stößt. Ein Blick auf das Ausland, z. B. auf Dänemark, lehrt aber, daß regelmäßige staatliche Zuwendungen jahrzehntelang auch ohne Büchereigesetz ausgeschüttet werden können, ja, daß ein Büchereigesetz vielleicht nur noch die Fixierung tatsächlich schon bestehender Verhältnisse ist. Wie ist unserer Oeffentlichkeit klarzumachen, daß ein leistungsfähiges Büchereiwesen nicht eine Sache des Idealismus mehr oder weniger eigenbrötlerischer Sonderlinge und Fanatiker, sondern ein politisches und kulturelles Interesse des Volkes und Staates ist, ebenso wie die Volksschule? Jahreslese-zahlen von drei und fünf Prozent der Bevölkerung besagen gar nichts. Man vergleiche die Theaterbesuche mit den Bücherei ausleihen und deren soziologischer Reichweite, vergleiche dann die beiderseitigen Subventionen und mache sich schließlich klar, daß unsere Büchereien bis jetzt ja wie die Veilchen im Verborgenen blühen, daß sie auch in der Großstadt zum Teil in Hinterhöfen und nur über enge Stiegen zu erreichen sind. Man frage einmal „die Menschen auf der Straße“, wer von dem Vorhandensein und der allgemeinen Benützbarkeit der Büchereien, ihrem Bücherbestand und ihren Ausleihbedingungen weiß?

Das Ergebnis wird deprimierend — und zugleich ermutigend sein, ermutigend deshalb, weil man unter den vielen, die bisher nichts von der Volksbücherei gewußt haben, einige vermuten darf, die hingingen, wenn sie wüßten wohin ... Man gebe der Bücherei eine so selbstverständliche und repräsentative äußere Form, Lage, Fassade und Aufmachung, wie sie ihnen anderswo zugebilligt wird, und man wird sehen, daß sachliches Interesse, Bildungsstreben, oder welcher Art das Lesebedürfnis sonst sein mag, bei uns nicht geringer ist als im Ausland. Vielleicht ließen sich ERP-Mittel einmal in ein Büchereigebäude investieren, vielleicht findet sich auch einmal bei uns ein — Mäzen, der, zu seinem eigenen ruhmvollen Gedenken, dem schmalen öffentlichen Budget beispringt.

Es wäre soviel zu tun: von Leseräumen für die Jugendlichen, denen gesetzliche Freizeit zugesichert ist, mit der sie nichts anzufangen wissen (zumal ihnen vielfach das Zuhause keine entsprechende Heimstatt zu bieten vermag), bis zur Versorgung der Kranken in den Spitälern, jenen Spitälern, in denen die Kolportage von Schmutz und Schund reißenden Absatz findet. Polizeutktionen gegen die unterwertige Literatur sind notwendig und richtig — ein entscheidendes Gegengewicht aber wird nur gute Literatur zu bescheidenen Bedingungen in anziehenden Räumen sein, in Büchereien, die selbstbewußt auftreten und endlich den Minderwertigkeitskomplex (und das Odium) der Volksküche abgelegt haben.

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