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Das Rätsel in der Logik

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Spätestens seit Peter Sloter-dijks „Kritik der zynischen Vernunft“ wird auf dem Markt des öffentlichen Meinens der Ausdruck „Kultbuch“ auch hierzulande gerne handelt. Offenbar versteht das säkularisierte Lebensgefühl der Gegenwart darunter etwas, was — zum Teil verständlich und rational, zum Teil kryptisch und mysteriös — einer Art Anbetung ausgesetzt ist.

Es versteht sich freilich von selbst, daß derartige Kulte immer wieder ihren Gegenstand wechseln müssen, gewissermaßen saisonbedingt verfahren. Warum sollte es darum neben einem „Auto des Jahres“ nicht auch ein „Kultbuch des Jahres“ geben?

Um es vorwegzunehmen: Douglas R. Hof stadters Buch „Gödel, Escher, Bach- ein endlos geflochtenes Band“ hat dies trotz seines merkwürdigen Titels nicht verdient. Die entkrampfte und unbekümmerte Art, in der Hofstadter in einem immerhin 844 Seiten aufweisenden Wälzer der Frage nach de- 'esen unseres Denkens nachgeht, ist weit von den Rundumschlagen neopositivistischer, informationstheoretischer oder soziobiologischer Provenienz entfernt. Dazu ist das Buch auch viel zu assoziativ, nahezu sympathisch chaotisch aufgebaut. Hofstadter, der selbst der Computerkultur entstammt, hat großen Respekt vor der Eigenständigkeit des menschlichen Denkens; er führt uns in klugen, skurrilen und verblüffenden Exempeln unsere - trotz erstaunlicher Leistungen der artif iziellen Intelligenz - tiefverwurzelte Unfähigkeit vor, die Natur des Denkens zu verstehen.

Der universelle Anspruch Hof-stadters geht bereits aus dem Titel hervor: auch wenn der Mathematiker Gödel und sein berühmter Satz von der Unentscheidbar-keit von Sätzen in axiomatischen Systemen im Mittelpunkt steht, wird dem Kanon bei Johann Sebastian Bach und den paradoxen Bildern des Malers Escher keine geringere Aufmerksamkeit gewidmet. Denn in der Bach'schen Musik, in der bildenden Kunst eines Escher oder auch Magritte und in der Mathematik und Informationstheorie geht es um nichts

„Kann es gelingen, das Problem des freien Willens zu entschlüsseln?“

Geringeres als um jene „seltsamen Schleifen“, in denen sich die Selbstbezüglichkeit unseres Denkens ausdrückt

Von den antiken Paradoxien, wie sie vornehmlich Zenon formuliert hatte, bis zu den Versuchen, in die Programmiersprachen die Selbstbezüglichkeit einzubauen und dadurch Widersprüche auszumerzen, spannt Hofstadter seinen Bogen. Ist es unserem Denken auf immer verwehrt, seinen eigenen Ursprung und sein eigenes Wesen zu erkennen, oder kann es uns mit Hilfe komplizierter Verfahren der sogenannten „künstlichen Intelligenz“ gelingen, unsere Denkabläufe so zu simulieren, daß das Problem des Selbstbewußtseins, des freien Willens, der menschlichen Kreativität entschlüsselbar wird?

Hofstadter macht sich die Sache nicht leicht. Er ist jeder grobschlächtigen und darum immer auch ideologieträchtigen Antwort abhold. Die Vorstellung von der Funktion des menschlichen Denkens als eines mechanisierten und darum genau simulierbaren Prozeßgeschehens ist ihm ebenso suspekt wie deren Mystifizierung. Die Auflösung der Paradoxien — nach dem Beispiel des Kreters, der aussagt, daß alle Kreter Lügner wären — durch die Aufdeckung zweier verschiedener Sprachebenen (der sogenannten Objekt- und Metasprache) ist Hofstadter zu wenig. Denn die damit gerettete Widerspruchsfreiheit überspringt einen Wesenszug des menschlichen Denkens: und der besteht gerade darin, diese seltsamen Schleifen zu büden, die wir im Bach'schen Kanon ebenso schön beobachten können wie in den Meditationen des Zen-Bud-dhismus, auf die Gödels Satz ebenso verweist wie die spielerisch anmutenden Sprachvermengungen eines Lewis Caroll.

Die zahlreichen Dialoge zwischen Achill und der Schildkröte, deren Vorsprung er bekanntlich im berühmten Wettlauf nicht einholen kann, binden sich mit Darstellungen der Aussagenlogik, der Metamathematik und der Programmiersprachen so zusammen, daß man versucht ist, das Buch selbst als eine einzige höhere seltsame Schleife zu lesen.

Das Darstellen eines endlosen Vorganges mit Mitteln der Endlichkeit ist letztlich das Prinzip einer solchen Schleife, in der wir aus Systemen herausspringen und Denkhierarchien wechseln. Gerade dies aber ist menschliches Denken, der artifiziellen Intelli-

„Die Fuge des menschlichen Geistes verschlingt sich zu ihrem Ursprung“ genz des Computers so ähnlich und doch abgründig davon geschieden.

Es spricht für Hofstadter, daß er jedweder Uberspannung oder Ideologisierung des Computers gegenüber zutiefst mißtrauisch bleibt, ohne jedoch dessen Möglichkeiten geringzuschätzen. Das Phänomen der „seltsamen Schleifen“ läßt sich weder reduktioni-stisch (ä la Gehirnphysiologie) noch mystifizierend angemessen erfassen: „Gödels Unvollständig-keitssatz, Churchs Unentscheid-barkeitssatz, Turings Halte-Satz, Tarskis Wahrheitssatz — sie alle haben den Klang eines alten Märchens, das uns warnt: Die Suche nach Selbsterkenntnis heißt, sich auf eine Reise begeben, die immer unvollendet bleiben wird, auf keiner Karte eingezeichnet werden kann, nie ein Ende finden wird, sich nicht beschreiben läßt.“

Hofstadter läßt offen, ob die verwickelte Hierarchie und die vielfältigen Ebenenverschlingun-gen unseres Denkens und Selbstbewußtseins letztlich doch einer komplizierten, „weiche Begriffe“ wie Abbildungen und Bedeutung heranziehenden Erklärung unterstellt werden können. Das endlos geflochtene Band schlingt sich weiter. Die „vielstimmige, wunderbare Fuge des menschlichen Geistes“ verschlingt sich gewissermaßen endlos zu ihrem eigenen Ursprung zurück.

Hofstadter macht uns klar, daß wir angesichts all unserer wissenschaftlich-technischen Großleistungen sicher stolz sein können, daß wir aber ebensoviel Grund zur Bescheidenheit haben.

GÖDEL. ESCHER. BACH - EIN ENDLOS GEFLOCHTENES BAND. Von Douglas R. Hofstadter. Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 1985. 844 Seiten, öS 374.-.

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