Luft machen
Auf Demonstrationen gehen, obwohl man weder Massen noch Demorhetorik mag.
Auf Demonstrationen gehen, obwohl man weder Massen noch Demorhetorik mag.
Regenschirme verstellten den Blick auf die Bühne, wo für die Demokratie gewettert wurde. Ich mag keine Demos. Die Reden sind mir verkürzt, die Massen machen mich fertig. Das Johlen. Das Buh. Der Applaus. Bekannte Gesichter schauten grimmig. Eine Studienkollegin sah ich. Auch ganz schön alt geworden. Hallo, Demokratin! Auf der Bühne stand ein Hosi-Mann und rügte Österreich. Man muss scharf Kante zeigen. C. fragte, was diese Floskel genau bedeutet? Sollen wir Karate lernen? In der Demo vor dem Parlament hätte das nichts genützt. Von hinten drängten die Demonstrierenden und von vorne bahnten sie sich ihren Weg durch mich durch. Ich ging in die Knie. Neben mir ein hochgewachsener Deutscher, der über die Köpfe hinweg skandierte: Massen Pa Nik. Massen Pa Nik, weil er von oben das Dickicht überblickte und witzelte. Eine Demonstrantin kollabierte und ein paar Männer hielten sie fest, damit sie nicht zu Boden ging. Die Frau stand eingekeilt, Gott sei Dank, denn sonst wäre sie zertrampelt worden. Was aus ihr wurde, weiß ich nicht. Ich wurde abgedrängt. Die Sätze von der Bühne, das Wir, die demokratischen Kräfte, keine Koalition mit dem Faschismus. Gott sei Dank. Die Reden, wohlformulierte Demorhetorik ist Demorhetorik ist Demorhetorik. Während in der Masse wieder jemand schrie: I cannot breath. Brachial-Drängerinnen schlugen die Bresche. Das Gemeinschaftserlebnis war grauenhaft. Wieso setze ich mich wieder aus? Ich würde viel lieber streiken! Da ich Schriftstellerin bin, kann ich mir das nicht leisten, denn ich würde mich selber abschaffen. Das Zweckbündnis mit Menschen, die mich gar nicht aushalten, würden sie mich näher kennen, geh’ ich deshalb ein. Wenn ich meine Präsenz an ein Erscheinungsbild des Protestes abgebe, macht mich mein persönlicher Einsatz gegen die Ungerechtigkeit beliebig und notwendig zugleich. Jetzt habe ich einem Paradoxon Luft gemacht.
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