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Schulstadt in Gefahr?

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Sechzehn junge Leute im A her zwischen 17 und 28 Jahren bezogen mit Monatsbeginn das ehemalige Schülerheim des Trinitarier-Ordens in der Mödlinger Vorderbrühl. Dieses Heim in der niederösterreichischen Schulstadt Mödling war schon vor diesem Einzug umstritten, jetzt ist es das erst recht: Handelt es sich doch um eine Außenstelle der Wiener Drogenstation Kalksburg. Ander Diskussion um diese Drogenstation, deren Betrieb noch nicht endgültig ist, beteiligten sich auch ,,Fernsehpfarrer” Wilhelm Müller, gleichzeitig Pfarrer von Mödling, und Wiens ÖVP-Gesundheitsstadträtin Gertrude Kubiena. Die FURCHE bat beide um Stellungnahmen.

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Sechzehn junge Leute im A her zwischen 17 und 28 Jahren bezogen mit Monatsbeginn das ehemalige Schülerheim des Trinitarier-Ordens in der Mödlinger Vorderbrühl. Dieses Heim in der niederösterreichischen Schulstadt Mödling war schon vor diesem Einzug umstritten, jetzt ist es das erst recht: Handelt es sich doch um eine Außenstelle der Wiener Drogenstation Kalksburg. Ander Diskussion um diese Drogenstation, deren Betrieb noch nicht endgültig ist, beteiligten sich auch ,,Fernsehpfarrer” Wilhelm Müller, gleichzeitig Pfarrer von Mödling, und Wiens ÖVP-Gesundheitsstadträtin Gertrude Kubiena. Die FURCHE bat beide um Stellungnahmen.

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Seit 1. Juli besitzt Mödling ein Sonderkrankenhaus, eine Therapiestation, ein Entwöhnungsheim, ein Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige. Je nach Sonnenstand wechseln die Bezeichnungen. Der Gemeinderat der Stadt Mödling hat sich einstimmig gegen Mödling als Standort für dieses Heim ausgesprochen. Das hat ihm manche Vorwürfe eingetragen.

In Mödling befinden sich folgende Schulen: drei Volksschulen, eine Sonderschule, zwei Hauptschulen, ein Polytechnischer Lehrgang, eine Landesfachschule für Kleidermacher, eine Handelsakademie und Handelsschule, zwei Gymnasien mit je 1300 Schülern und die Höhere Technische Lehranstalt (HTL) mit rund 2500 Studenten. Das sind zusammen 10.000 junge Menschen, die in Mödling wohnen, arbeiten und in die Schule gehen. In dieser Aufzählung sind die Gendarmeriezentralschule und das Berufspädagogische Institut für Afrikaner und Asiaten nicht enthalten.

An Heimen gibt es in unmittelbarer Nähe der Drogenstation ein Flüchtlingsheim für Chilenen und das SOS-Kinderdorf mit einem Haus für Lehrlinge. Am Gießhübl steht das Jungarbeiterdorf Hochleiten und beim Urlauberkreuz an der Gemeindegrenze Hinterbrühl-Maria Enzersdorf das Landeskinderheim. In Mödling und Maria Enzersdorf unterhalten zwei Firmen Lehrlingsheime.

Die 2500 Studenten an der HTL Mödling kommen aus ganz Österreich. Ein Teil von ihnen pendelt bis zu einer Entfernung Mödling-Mürzzuschlag täglich zwischen Wohnort und Schulort Für 1200 ist Platz im Internat der HTL. Fast 800 Burschen und Mädchen wohnen privat in Mödling und können nur bei größeren Ferieneinheiten zu ihren Eltern in Osttirol, im Mühlviertel oder in Vorarlberg heimfahren. Der Kontakt mit den Eltern ist auf Briefe und gelegentliche Telephonanrufe reduziert. Die Eltern wissen nicht, wer die Freunde und „Freunde” ihres Kindes sind. 1

Diese jungen Menschen aus ganz Österreich, diese Vierzehn- bis Neunzehnjährigen, sind mit ihren Schwierigkeiten des Umgewöhnens und Angewöhnens, der Einsamkeit und der Pubertät, der Haushaltsführung und eines Schulalltages mit der Belastung von über 40 Unterrichtsstunden pro Woche weithin auf sich allein gestellt.

Sie werden wenig kontrolliert, was sie mit ihrer Zeit und ihrem Geld tun. Sie haben nur selten jemanden, zu dem sie kommen können, wenn es in der Schule nicht klappt, wenn sie mit dem Geld nicht auskommen oder wenn sie Liebesprobleme haben. Die starke Beanspruchung durch die Schule verhindert, daß sich der Großteil von ihnen in den verschiedenen Jugendgruppen, die es in der Stadt gibt, engagieren kann.

In dieser Stadt gibt es seit 1. Juli ein Heim für Drogenabhängige.

Die Verantwortlichen führen mehrere Gründe an, warum Mödling als Standort gewählt wurde. Erstens ist ein solches Heim unbedingt notwendig. Zweitens ist es ungefährlich. Drittens ist der Standort Mödling günstig. Und viertens gibt es in Mödling ohnedies eine Drogenszene.

Niemand verschließt sich der Notwendigkeit eines solchen Heimes. Es ist verwunderlich, daß die Alternativen -Alland und die Kartause Mauerbach -nie diskutiert, sondern mit dem „Flori-aniprinzip” lächerlich gemacht oder als Isolierhaft bzw. Arbeitslager diffamiert wurden.

Man kann es Eltern nicht verargen, wenn sie bei einer Heilchance, die einmal mit 20 und einmal mit 40 Prozent angegeben wird, von der Gefahrlosigkeit nicht überzeugt sind.

Es ist für sie, irgendwo in den Bundesländern, keine Beruhigung, daß auch intakte Familien kein Schutz gegen das Abgleiten eines Kindes in das Drogenmilieu sind. Man kann sich ausrechnen, was geschieht, wenn eine brennende Fackel neben einem vollen Benzinfaß liegt.

Mödling ist sicher ein günstiger Standort, wenn man darunter die Erreichbarkeit versteht. Ob es für eine Therapie günstig ist, ist umstritten. Daran ändern auch Zeitungsberichte, die aus dem Garten des Hauses eine Gärtnerei machen, nichts. Sie vertiefen nur die Bedenken. Glatter Zynismus ist es, mit der Behauptung, daß Mödling ohnedies eine Drogenszene besitzt, die Schulstadt Mödling als günstigen Standort für ein Drogenheim zu verteidigen.

Von GERTRUDE KUBIENA

Von allen Politikern, die sich für oder wider die Drogenstation Vorderbrühl engagieren, bin ich vermutlich der einzige Mensch* der von Arzt zu Patient jemals mit Drogenabhängigen zu tun hatte.

Als Polizeiamtsarzt stand ich immer wieder vor dem Problem: Was tun mit Drogenabhängigen?

Denn die Einweisung ins Psychiatrische Krankenhaus bringt für den Patienten nur den körperlichen Entzug. Um auch von der seelischen Abhängigkeit loszukommen, muß für den motivierten Patienten nachher eine lange oder mittelfristige Therapie möglich sein - nebst ambulanten psychosozialen Versorgungseinrichtungen. Bisher gab es 18 Plätze für die Langzeitrehabilitation in Wien-Kalksburg. Aus. Schluß. Punktum.

Ständig waren mindestens 20 Drogenabhängige bis zu einem Jahr auf der Warteliste, wobei die Anzahl nicht so stark wechselte wie die Personen: Viele entwöhnungswillige Drogenabhängige können nicht warten. Bis ihr Platz frei ist, sind die tot, in Indien oder längst wieder in ihrer alten Drogenszene.

Im Parlament haben sich im Juni alle drei Fraktionen aufdie gesetzliche Verankerung der Behandlungspflicht Drogenabhängiger geeinigt. Und in Mödling sind alle drei Fraktionen geschlossen gegen die Eröffnung einer

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Therapiestation für Drogenabhängige.

Ich bin Wiener Kommunalpolitikerin und Mödling geht mich eigentlich nichts an. Aber hier geht es ums Prinzip! Es ist das Recht jedes Bürgers, zu protestieren. Es ist aber die Pflicht verantwortungsbewußter Politiker, richtig und - wie dies ja in anderen Bereichen gefordert wird - „wertfrei” zu informieren. Statt für sich und für die Mödlinger qualifizierte Information über das geplante Therapiezentrum einzuholen, benutzte Bürgermeister Heinz Horny die unterschwellige Angst der Mödlinger vor dem „unheimlichen Süchtigen”.

Der Bürgermeister informierte die Mödlinger Stadträte so, daß sie glauben mußten, das geplante Therapiezentrum werde ein „Seuchenherd” in der Schulstadt Mödling sein. Er behauptete, daß sich von diesem Therapiezentrum aus die Dealer (Händler) über Mödling verbreiten würden und daß eine derartige Behandlungsstation für Suchtgifthändler einen unheimlichen Anziehungspunkt darstelle.

Das ist falsch. Die Patienten der geplanten Station wollen vom Suchtgif) weg und sind unter Kontrolle.

Es ist für einen Politiker offenbar viel einfacher, tagespolitisch zu agieren, als qualifizierte Information einzuholen und weiterzugeben. Die Mödlinger Presse ließ sich natürlich auch das Geschäft mit der Angst nicht entgehen. Und als viele Mödlinger Bürger bereits durch die Horrorkampagnen wirklich Angst hatten, kam der Gesundheitsminister, der ja bekanntlich der gleichen Fraktion wie der Mödlinger Bürgermeister angehört, und erklärte: „Das Drogenheim kommt doch in die Vorderbrühl.” („Kreuzverhör”, Donnerstag, 19. Juni 1980, FS 2).

So kann man es nicht machen! Die Angst der Mödlinger Bevölkerung führt zwangsläufig zu einer ablehnenden Haltung Menschen gegenüber, die ihr Leben ändern wollen, die unter unendlichen Mühen von der Droge wegkommen wollen und die zum Großteil ihr ganzes Leben lang immer wieder Ablehnung erfahren haben.

Jeder Fachmann wird bestätigen, daß jede Diskothek, jeder Eissalon, jedes Jugendzentrum „gefährlicher” ”als eine Therapiestation für entwöhnungswillige Drogenabhängige ist. Und wer glaubt, dali Mödling keine Drogenszene hat, der irrt.

Gerade jene, die sich jetzt gegen das Therapiezentrum aussprechen, werden die ersten sein, die wegen eines Therapieplatzes intervenieren, wenn es sich um einen Fall in der eigenen Familie handelt.

Österreich braucht mehr Plätze für die Entwöhnung Drogenabhängiger. Natürlich muß es nicht Mödling sein. Aber das Internat der Trinitarier war das einzige realisierbare Angebot.

Es geht nicht an, daß die Parlamentarier mit der gesetzlichen Verankerung der Behandlungspflicht Drogenabhängiger gleichsam Wasser predigen, während die Mödlinger Kommunalpolitiker sozusagen „Wein trinken”, in dem sie zu einer Unterschriftenaktion gegen die Therapiestation auffordern.

Das Drogenproblem ist viel zu ernst, um als politische Spielwiese benutzt zu werden. Helfen ist hier das Wichtigste. Helfen wir alle zusammen.

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