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Denkmalschutz kontra Liturgie

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In Mödling steht Standpunkt gegen Standpunkt: Soll der Kirchenraum vor allem der erneuerten Liturgie dienen? Oder ist er ein Kunstdenkmal, das unbedingt in seiner alten Form erhalten werden muß?

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In Mödling steht Standpunkt gegen Standpunkt: Soll der Kirchenraum vor allem der erneuerten Liturgie dienen? Oder ist er ein Kunstdenkmal, das unbedingt in seiner alten Form erhalten werden muß?

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Mödling: eine Stadt mit rund 15.000 Einwohnern, 20 Kilometer südlich von Wien; bereits im 6. Jahrhundert als Slawensiedlung bekannt; 1252 Marktrecht, 200 Jahre später bei der ersten Türkenbelagerung vollständig zerstört, vor knapp mehr als hundert Jahren Erhebung zur Stadt.

Neben einem Karner aus dem 12. Jahrhundert und einigen anderen sehenswerten Bauwerken hat Mödling eine Kirche, deretwegen sich die Mödlinger Stadtväter mit beamteten Kulturschützern in den Haaren lagen.

Sankt Othmar: Baubeginn 1454, Vollendung 70 Jahre später. 1529 wurde die Kirche von den Türken zerstört, das gleiche geschah nochmals 1683. Durch die regelmäßigen Zerstörungen des Bauwerkes wurde die ursprünglich gotische Kirche nach verschiedenen Stilrichtungen ergänzt. Barockelemente hielten Einzug.

„Man darf nicht vergessen, daß in den Menschen der Barockzeit noch Dankbarkeit und Freude glühte, Türken sowie Pest überlebt zu haben. So veränderte man Mödlings Hallenkirche allmählich in einen .Thronsaal Gottes , der Altar wird zum .Thron , so steht es in der heuer erschienenen Festschrift für St. Othmar.

Die Fenster wurden teilweise zugemauert. Bei der letzten großen Restaurierurig vor hundert Jahren wurden die im Barock vermauerten Fenster wieder geöffnet und verglast. Bilder der Nazaręnerschule wurden angeschafft, barocke Altarbilder entfernt. Altäre wurden an neuen Plätzen aufgestellt.

Sankt Othmar „ist ein Symbol unserer Stadt, Zentrum der Urbanität, Mahnmal einer tausendjährigen bewegten Geschichte“, erklärt Peter Nikolay, Vizebürger-

meister der Stadtgemeinde und Patronatskommissär. Denn Eigentümer und Erhalter der Kirche Sankt Othmar ist seit 1556 die Stadt Mödling.

Die Restaurierungspläne der Mödlinger ließen die beamteten Kunst- und Kulturschützer des Bundesdenkmalamtes in Aktion treten. Diė Mödlinger planten nämlich, ihre Kirche so zu restaurieren, wie sie es eigentlich gar nicht dürften.

Grundlage ihrer Restaurierungspläne waren die liturgischen Vorschriften des Zweiten Vaticanums. So sollte unter anderem der Hochaltar, der „nur mehr Abstelltisch für Blumen, Kerzen und Bücher geworden ist“‘(Möd- linger Pfarrblatt) aus der Kirche entfernt werden. Der leere und funktionslos gewordene Tabernakel sollte ebenso wie Nebenaltäre in Seitenkapellen gestellt werden; die ebenfalls funktionslos gewordene Kanzel erhöht (um eine bessere Sicht zu ermöglichen) oder überhaupt versetzt werden.

Für die Mödlinger standen bei den Arbeiten rund um die Kirchenrestaurierung religiöse und liturgische Überlegungen im Vordergrund. Der Pfarrer von Sankt Othmar, Monsignore Wilhelm Müller, sagte bereits vor fünf Jahren:

„Meine Absicht ist, daß nichts, was in der Kirche wertvoll ist, ver lorengehen soll.“

1981 konnte man im Mödlinger Pfarrblatt lesen: „Wir brauchen Kirchen, nicht Museen, die Kirchen waren!“ Das Motto bei den Mödlinger Restaurierungen war also „Zuerst die Sache, das heißt die Liturgie, der Raum ist für uns zweitrangig!“

Die „liturgisch bedingten Ar- • beiten mit der Ausgestaltung des Altarraumes“ (Mödlinger Pfarrblatt) waren es, die den Beamten des Bundesdenkmalamtes auf den Plan riefen. Die Denkmalschützer sahen sich veranlaßt, den Mödlingern peinlich genau auf die Finger zu schauen. Denn Gerhard Sailer, Präsident des Bundesdenkmalamtes, fürchtete, daß das Beispiel Mödling Schule machen könnte:

„Wir lassen uns die Kirchen nicht zerstören. Wenn es um Kunstwerke und Fragen der Restaurierung geht, so ist das die Angelegenheit von Sachverständigen und nicht von Laien!“

Die Causa Sankt Othmar ist ein besonderer Fall im Zusammenwirken kirchlicher und staatlicher Institutionen. Gegen die Anforderungen der Seelsorge stehen die Grundprinzipien des Denkmalschutzes. Im Fall Mödling ist es der Staat, der die Kirche vor unüberlegten „Restaurierungswünschen“ schützen will. Die Mödlinger haben nach Meinung von Gerhard Sailer „die liturgi-

schen Wünsche und Vorstellungen über den Wert und die Bedeutung eines Kunstwerkes — Sankt Othmar — gestellt“. Für ihn ist in diesem Fąll das Bundesdenkmalamt der Verteidiger der Kirche, auch gegen deren eigene Leute, wenn es sein muß.

Gerhard Sailer respektiert die liturgischen Wünsche der Kirche bei Kirchenneubauten bzw. -re- staurierungen. Dennoch: „Daß man dadurch historische Bauwerke mit dem Argument zerstört, sie seien ein kunsthistorisches Sammelsurium, ist auf keinen Fall der richtige Weg. Da muß man eingreifen.“

Gerhard Sailer und Peter Nikolay, befragt nach ihren „Erfolgen“

bei der Kirchenrestaurierung, geben sich zugeknöpft. Ein Kompromiß, sagen beide, aber sicherlich für beide Seiten mit einem Wermutstropfen. Sailer, der seiner Aussage nach mit den kirchlichen Bauämtern die besten Beziehungen pflegt, glaubt nicht, daß das Mödlinger Beispiel Schule machen wird.

Nikolay sieht das Kapitel St. Othmar noch nicht abgeschlossen. Und fürchtet zugleich um Österreichs bzw. Mödlings kulturelle Mobilität: „Warum sollen wir uns in aller Ewigkeit von Beamten vorschreiben lassen, wie vergangene Kunst präsentiert werden muß und wie die Kunst der Zukunft aussehen soll?“

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