China - das mysteriöse Reich

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Die Demontage des linken Spitzenfunktionärs Bo Xilai zeigt einmal mehr die die Probleme Chinas mit der Demokratie auf, meint die Stuttgarter Zeitung.

Putin hin, Sarkozy her: Die wichtigsten Wahlen dieses Jahres finden erst im Herbst statt. Die ganze Welt weiß, dass dann in den USA der Präsident gewählt wird - selbstverständlich unter den Augen der Öffentlichkeit. Doch wer weiß schon, dass auch in China im Herbst wichtige Personalentscheidungen auf höchster Ebene getroffen werden? Denn das geschieht hinter den Kulissen. Die Führung in Peking folgt der Devise: Das geht niemanden was an, die Partei allein hat das Sagen (...).

Niemand weiß genau, was Chinas Spitze im Schilde führt. (...) Die kommunistische Partei steuert mit den Instrumenten des Kapitalismus das bevölkerungsreichste Land der Erde, häuft Devisenreserven an, die ihr enorme Einflussmöglichkeiten verschaffen, stellt im Wirtschaftsexport jedes Jahr neue Rekorde auf. Doch der Gigantismus weckt Misstrauen - vor allem, weil das Reich der Mitte nach Regeln funktioniert, die von außen nicht nachvollziehbar sind.

Das Erscheinungsbild bleibt vor allem deswegen negativ, weil es an demokratischer Kultur fehlt. Entscheidungen werden von einem kleinen Machtzirkel getroffen, Gewaltenteilung und Kontrollinstanzen gibt es nicht, schon gar nicht eine öffentliche Debatte über den politischen Kurs. Das Internet unterliegt einer scharfen Zensur.

Reformen bleiben auf der Strecke

Über das Schicksal des Landes entscheidet ein 25-köpfiges Zentralkomitee, mit speziellen Problemen befasst sich ein ständiger Ausschuss. Wie Beschlüsse zustande kommen, ist nicht bekannt. Weil Konsens über allem steht, bleiben notwendige Reformen auf der Strecke. Gewiss, bei der Armutsbekämpfung hat China gewaltige Erfolge zu verzeichnen. Hunderte Millionen Menschen haben es heute besser als noch vor wenigen Jahren - eine Entwicklung, mit der sich die Machthaber legitimieren. Doch obwohl es immer wieder auch im Westen Bewunderung für die chinesische Effizienz gibt, obwohl manche hierzulande Bürgerbeteiligungen, Anhörungen und Einspruchsverfahren als demokratisches Gedöns beklagen: China ist kein Vorbild.

Schmelzende Anerkennung

Die Kommunisten walzen nach wie vor über bürgerliche Freiheiten hinweg, missachten Menschenrechte und unterdrücken Minderheiten. Damit schmilzt der letzte Rest an Anerkennung für das System zusammen. Zudem wird die Umwelt rücksichtslos ausgebeutet. (...) Und jetzt herrscht Wahlkampf im Vorfeld der Neubesetzung des Zentralkomitees - und was für einer!

Vor kurzem wurde der KP-Chef der Stadtprovinz Chongqing unter mysteriösen Umständen abserviert. Bo Xilai, Galionsfigur der Parteilinken, hat in der 32-Millionen-Einwohner-Region auf der Klaviatur der Mao-Nostalgie gespielt und einen populistischen Kampf geführt, der an düsterste Revolutionszeiten erinnert: Bo ließ die alten Lieder anstimmen und schickte Beamte aufs Feld. (...) Er galt als erfolgreich. Nun haben es die wirtschaftlicher Öffnung aufgeschlossen gegenüberstehenden Etablierten gerade noch mal geschafft, Bos Aufstieg (...) zu verhindern. Doch Gerüchte über einen Machtkampf und einen Militärputsch haben rasch die Runde gemacht - Gerüchte, wie sie nur in einem totalitären Staat entstehen.

Die Führung in Peking reagiert gereizt, Online-Debatten werden unterbunden. (...) Die Begleitumstände der Affäre Bo Xilai dürfen getrost als Beleg dafür gewertet werden, dass sich ein zwar wirtschaftlich erfolgreiches, aber autoritäres Regime schwertut, für einen Führungswechsel zu sorgen. China ist ein reiches Land - aber es steht auf tönernen Füßen.

Aus Stuttgarter Zeitung, 11. April 2012

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