"Göttliche Vorsehung" gegen Juden

Werbung
Werbung
Werbung

Päpste ließen Antisemitismus zu - etwa Leo XIII., der diesbezügliche Umtriebe von Österreichs Christlich-Sozialen förderte.

David Kertzer, Historiker an der Brown University, Providence, der in den Archiven des Vatikans forschen durfte, hat mit "Die Päpste gegen die Juden" ein leicht lesbares, ausgewogenes und spannendes Buch geschrieben, das beiträgt, die oft sehr subtilen historischen Mechanismen, die über Jahrhunderte das Verhältnis von Christen und Juden bestimmten, zu verstehen. Seine Spannbreite reicht von den Zwangstaufen und -konversionen bis zu den Ritualmordbeschuldigungen, die im Nahen Osten, in Österreich-Ungarn, Russland und Frankreich bis ins 20. Jahrhundert gegen Juden erhoben wurden.

Allein wegen des Kapitels über Österreich lohnt es sich, das Buch zu lesen. Die von Kertzer geschilderte Episode aus dem Jahr 1889 zeigt die in der Kirchenhierarchie herrschenden Meinungsverschiedenheiten auf: Luigi Galimberti schien ein aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Kardinalstaatssekretärs zu sein, doch wurde er von konservativen Kirchenführern abgelehnt, da ihm vorgeworfen wurde, für eine Aussöhnung mit dem italienischen Staat und mit den Protestanten in Preußen einzutreten. Statt dessen ernannte man ihn 1887 zum Nuntius in Wien. Weil er einen reichen Juden, der Geld für wohltätige Zwecke der Kirche spendete, gelobt hatte, wurde Galimberti vom Kardinalstaatsekretär gerügt, denn die "engen Verbindungen zwischen freimaurerischer und jüdischer Sekte zum Nachteil der katholischen Kirche sind nur zu gut bekannt. Angesichts dessen wäre es für den Repräsentanten des Heiligen Stuhls angebracht, sich solcher Lobesworte zu enthalten".

Nuntius Galimberti versuchte seine Vorgesetzten über den Antisemitismus in Wien aufzuklären, der "nur irrtümlicherweise als Synonym von Katholizismus oder Klerikalismus verstanden werden" könne. Der Antisemitismus, wie ihn Karl Lueger, den er als "Demagogen" bezeichnete und sein wichtigster adliger Anhänger, Prinz Liechtenstein, vertreten, entspringe nicht der Religion, sondern politischen und sozialen Theorien. Vielen Mitgliedern der Christlich-Sozialen Partei seien religiöse Fragen "völlig gleichgültig"; sie seien im besten Fall keine praktizierenden Gläubigen, "wenn nicht Schlimmeres". Die österreichischen Bischöfe, fuhr Galimberti fort, hätten in ihrem letzten Hirtenbrief "den Rassenhass verurteilt, den man durch Antisemitismus zu schüren versucht" und Lueger sei "in Wirklichkeit nicht der Kopf der katholischen, sondern jener der antisemitischen Partei im oben erläuterten Sinn".

Im Geheimarchiv des Vatikans fand Kertzer eindeutige Belege dafür, dass der Papst und sein Staatssekretär die antisemitische Kampagne der Christlich-Sozialen Partei aktiv gefördert haben. Am erstaunlichsten sind die Dokumente, aus denen hervorgeht, dass sie die Bemühungen der österreichischen Kirchenführung konterkarierten, die Kirche von Lueger und seiner Bewegung zu distanzieren. Galimberti warnte den Papst und den Staatssekretär leider vergebens sich auf den modernen politischen Antisemitismus einzulassen.

Angesichts der sich häufenden, oft gewalttätigen antisemitischen Demonstrationen der Lueger-Anhänger richteten Anfang 1895 die Erzbischöfe von Wien und Prag ein Bittschreiben an Leo XIII., österreichische Adelige meldeten öffentlich Protest an. Doch als dann die Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten den Fall diskutierte, wurde der Vorschlag des Ordensgenerals der Dominikaner, den Parteiführern eine ernste Warnung zukommen zu lassen und sie zur Mäßigung zu mahnen, nicht angenommen. Die Kardinäle sahen den Vorwurf des Antisemitismus als "haltlos". Die Christlich-Sozialen, schrieb ein Jesuit 1897 in Civiltà cattolica, hätten das beste Mittel gefunden, "das die göttliche Vorsehung bereit hält, um die christlichen Länder aus der Sklaverei und dem Joch der emanzipierten Juden zu befreien".

Das Buch trägt zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Juden und der katholischen Kirche bei; diese kann nur erreicht werden, wenn Klarheit über die Vergangenheit herrscht.

Der Autor war von 1982 bis 1995 Redakteur der "Gemeinde", des Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und ist Korrespondent des israelischen Radios.

DIE PÄPSTE GEGEN DIE JUDEN. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus. Von David I. Kertzer. Propyläen Verlag, Berlin 2001. 460 Seiten, geb., e 25,80

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung