Putins Traum

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Am Athos, dem Hl. Berg der Ostkirchen, lässt das neue Russland seinen Anspruch als Führungsmacht spüren -religiös und auch politisch.

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Am Athos, dem Hl. Berg der Ostkirchen, lässt das neue Russland seinen Anspruch als Führungsmacht spüren -religiös und auch politisch.

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Die Freude russischer Medien war offenkundig: Mehr als 500 Pilger seien, so hieß es, an diesem 14. Oktober im Hafen des Athos-Klosters Panteleimonos dem Fährschiff entstiegen. In der riesigen Klostersiedlung, der größten am Hl. Berg der Ostkirchen, war an diesem Tag ein doppeltes Fest zu feiern: das Schutzfest der Gottesmutter, von der es heißt, dass sie bereits mehrfach in Panteleimonos erschienen sei. Und zugleich die Weihe des neuen Abtes mit dem schönen Namen Evlogy ("Segen"). Geheimnisumwittert waren beide.

Was war zuvor geschehen? Am 28. Mai hatte die halbe Welt auf die sonst so weltvergessene - und ausschließlich von Männern bewohnte -Mönchsrepublik im Osten Griechenlands geblickt, als Kremlchef Wladimir Putin dem Athos die Ehre einer "Pilgerfahrt" gab. Formeller Anlass war die tausendjährige Anwesenheit russischer Mönche am Athos, die Putin medienwirksam mit Ikonenkuss und einem lauten "Christos voskrese" ("Christus ist auferstanden") feierte.

An diesem Tag musste sogar der griechische Präsident Pavlopoulos vor der Hauptkirche des Athos warten, denn der Thronstuhl vor der heiligsten aller heiligen Ikonen Griechenlands gehörte ganz dem Gast aus Moskau.

Moskau und die Mönche

Dann ging es nach Panteleimonos, unmittelbar an der Westküste des Athos. Kaum noch zu erkennen war da das alte "Rossikon": Wo noch vor wenigen Jahren gewaltige Ruinen mit leeren Fensterhöhlen vom Niedergang der russischen Präsenz unter der KP-Herrschaft im Kreml zeugten, da dehnt und streckt sich der weitläufige Komplex von Kirchen, Kapellen, Kloster-und Pilgertrakten jetzt frischgeputzt nach allen Seiten; hat Platz für immer mehr Mönche und Gäste - und verdankt dies vor allem der finanziellen Fürsorge der Moskauer Staatsund Kirchenführung.

"Wenn Russland die größte orthodoxe Macht ist", sagte Putin in Panteleimonos, "dann sind Griechenland und der Athos seine Wurzeln!" So eng hatte noch niemand Glaube und Machtanspruch verbunden - und das neue Russland auch mit dem EU-Mitglied Griechenland vernetzt. In Panteleimonos war der Pilger Putin noch Ende Mai vom 101-jährigen Abt Jeremiah willkommen geheißen worden; am 6. August aber entschlief Jeremiah selig im Herrn. Und für alle Interessierten war klar, wer sein Erbe antreten würde: Schon seit vielen Jahren hatte der Ukrainer Makarios für seinen greisen "Chef" das Kloster geführt. Zur Freude der Griechen, die über Jahrzehnte hinweg jeden Zuwachs russischer Mönche begrenzt und in Panteleimonos für eine Mönchsmehrheit von Ukrainern gesorgt hatten. Zur Sicherheit stellte Athen auch noch eine griechische Polizeistation an die Klostermauern.

Jetzt kam es ganz anders: Von den 103 Klosterbrüdern in Panteleimonos waren 70 zur Abtwahl berechtigt. Am 2. Oktober, dem Wahltag, holte sich aber der Russe Evlogy (bürgerlich Michail Iwanow) unerwartet den "Sieg" - mit nur 23 Stimmen. Für den Ukrainer Makarios blieben vier Monate nach Putins Besuch nur noch 14 Stimmen. Warum? Und was geschah mit allen anderen Stimmen? Ein Klostergeheimnis.

Die Abtwahl in Panteleimonos passt perfekt ins größere geopolitische Bild: Ein Vierteljahrhundert nach Ende des Sowjet-Kommunismus wird auch am Athos, dem spirituellen Herz der Orthodoxie, ein neues Kapitel seiner über tausendjährigen Geschichte geschrieben. Russische Priester, Mönche und Pilger wandern wieder in großer Zahl über den Hl. Berg. Ikonen, Rosenkränze, Weihrauch und geistliche Literatur warten in den Shops der zwanzig Großklöster (17 davon griechisch) vor allem auf kaufkräftige Russen -denn längst hat die Athener Finanzkrise auch die Mönchsgemeinschaften am Hl. Berg erreicht. Russische Besucher dürfen bisweilen auch in griechischen Athos-Klöstern zur Vesper ihre Hymnen singen. Und erste russische Metropoliten suchen am Athos in Gottesnähe einen Alterssitz

Man könnte die neue Wirklichkeit auch als Rückkehr in alte Zeiten sehen: Bis zur Ermordung der Zarenfamilie 1918 stellten die Russen sogar die Mehrheit unter den Athos-Mönchen. Mehr noch: Moskau forderte eine gemeinsame Verantwortung aller orthodoxen Länder für den Athos. Erst mit der KP-Herrschaft und ihrer mörderischen Gottlosigkeit versiegte der Strom. Und Athen sperrte zudem die Einwanderung aus dem Osten. Denn: Wer als Russe nun doch auf den Athos wollte, der konnte nur ein KGB-Agent sein Viele einst russische Mönchssiedlungen gingen ab damals menschenleer an die Griechen über. Und im riesigen Panteleimonos lebten in den 1980ern nur noch sieben, meist steinalte Mönche.

Jetzt ist alles neu am Athos, aber auch zwischen Russen und Griechen: Die uralten religiösen Bande (seit Kyrill und Method) nützen beide Seiten -weit über den gemeinsamen Glauben hinaus:

Putin versteht sich als Schutzpatron für die Ostkirchen, möchte einen orthodoxen Staatenblock vom Balkan bis zum Kaukasus schaffen -und Griechenland dabei als Druckmittel gegen EU und NATO einsetzen.

Und das bettelarme Athen freut sich heuer über eine Million russischer Touristen, über russische Kaufinteressen (z. B. am Hafen von Saloniki und an griechischen Bahnlinien) und würde gerne Vermittler zwischen Brüssel und Moskau spielen.

"Verdächtige Antennen"

So kurzlebig das Interesse an Putins "Pilgerreise" zum Athos und der jüngsten Abtwahl in Panteleimonos sein mag, vielerorts wird so viel "panorthodoxe Verbundenheit" mit stiller Sorge betrachtet. Britische Medien wittern schon eine russische Geheimdienst-Basis am Athos -als Beobachtungsstation nahe dem Bosporus und den Dardanellen. Im Kloster Panteleimonos wollen sie bereits "verdächtig aussehende Antennen und Satellitenschüsseln" entdeckt haben. Und sie fragen angesichts der jüngsten, millionenschweren Kloster-Renovierung: "Ist es nicht sehr unwahrscheinlich, dass diese Millionen nur eine Kirchenspende zur Rettung der Seelen sind?"

Aus weit größerer Nähe misstrauen aber auch regierungskritische Athener Medien dem "griechisch-russischen Frühling" (© Premier Tsipras) - und den jüngsten Entwicklungen im "Garten der Muttergottes":"Die Russen gewannen die Schlacht im Kloster Panteleimonos", heißt es. Und, ganz geopolitisch: "Schwere Niederlage amerikanischer Interessen im Ringen um die Kontrolle im östlichen Mittelmeer."

Wie wichtig für Moskau der Athos ist, mag auch eine kleine persönliche Erfahrung des Autors bezeugen: Für die Weltausstellung 2015 in Mailand hatte das Patriarchat in Moskau gebeten, einige meiner Athos-Fotos für den offiziellen Ausstellungspavillon Russlands verwenden zu dürfen. Staat und Kirche im selben Boot.

Am Hl. Berg des östlichen Christentums zeigen Äbte und Mönche in diesen Tagen ein starkes Wechselbad ihrer Gefühle -als Griechen und als Christen: Freude über die "Heimkehr einer großen orthodoxen Nation" und über "russische Pilger, die uns aus der Krise helfen". Aber auch Sorge vor zu viel Rückkehr in die Geschichte. Ein befreundeter Abt: "Das große Ziel Russlands, ans Mittelmeer zu kommen, ist heute dasselbe wie einst unter Zar Peter dem Großen!"

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