Seliger Löwe von Münster

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Clemens August von Galen, der einzige offen ns-kritische deutsche Bischof, wird selig gesprochen.

Mit dem Ehrentitel "Löwe von Münster" ging er in die Geschichte ein. Den Deutschen gilt er als Licht- und Symbolfigur des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Für viele Nichtdeutsche ist er einer der wenigen "guten Deutschen" in der ns-Zeit. Doch nicht immer war der frühere Bischof von Münster, der am 9. Oktober in Rom selig gesprochen wird, ein Löwe. Auch im Bistum Münster, wo Clemens August von Galen von 1933 bis 1946 als Bischof wirkte, räumt man inzwischen ein, dass Galen "kein geborener Seliger" war, wie Weihbischof Heinrich Timmerevers es kürzlich formulierte.

Schon Zeitgenossen kamen auch zu durchaus ernüchternden Einschätzungen. So war Galen etwa für den Berliner Bischof Konrad von Preysing ein "ganz durchschnittlicher Zeitgenosse von durchaus beschränkten Geistesgaben, der bis in die jüngste Zeit hinein nicht gesehen hat, wohin die Reise geht, und daher immer zum Paktieren geneigt hat."

Das Werden des Bischofs

Clemens August Graf von Galen wurde 1878 auf der oldenburgischen Burg Dinklage als elftes von 13 Kindern geboren. Nach Gymnasialstudien im Jesuitenkolleg "Stella Matutina" in Feldkirch und der theologischen Ausbildung unter anderem im Innsbrucker "Canisianum" wurde der 26-Jährige 1904 in Münster zum Priester geweiht. Zwei Jahre später wurde der junge Kaplan nach Berlin versetzt, wo er 23 Jahre bleiben sollte. Einen nicht unerheblichen Teil seines väterlichen Erbes investierte Clemens August dort in den Bau des Kolpinghospizes und der Kirche St. Clemens Maria Hofbauer.

1929 berief Bischof Poggenburg Galen als Stadtpfarrer der bekannten Kirche St. Lamberti wieder nach Münster zurück . Nach dem Tod des Bischofs vier Jahre später folgte ihm Galen nach. Am 28. Oktober 1933 wurde der 55-Jährige zum Bischof von Münster geweiht. An der Feier nahmen sa-Formationen mit Hakenkreuzfahnen teil, führende Vertreter der nsdap fanden sich als Gratulanten ein. Sie spekulierten damals auf einen strammen Parteigänger, für die der nationalkonservative Galen beste Voraussetzungen mitzubringen schien.

Doch mit dieser Vermutung sollten sie sich gründlich täuschen. Gleich in seiner ersten Ansprache stellte Bischof Galen sich unter unter seinen Wahlspruch: "Nec laudibus - nec timore. Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht soll uns bewegen. Aber das Lob Gottes zu fördern, sei unser Ruhm, selbst in heiliger Gottesfurcht zu wandeln, sei unser beharrliches Streben."

Nicht Lob - nicht Furcht

Bereits 1934 brandmarkte der neue Bischof das Bekenntnis der Nationalsozialisten zum so genannten positiven Christentum als "Täuschung der Hölle" und verfasste noch im gleichen Jahr das Vorwort zu einer wissenschaftlichen Widerlegung des rassistischen und antikirchlichen Pamphlets des Chefideologen der nationalsozialistischen Bewegung, Alfred Rosenberg. Für Berlin galt Bischof Clemens August schon bald als einer der gefährlichsten Gegner des Regimes, allerdings wagte man nicht, ihn öffentlich anzugreifen, da man von Seiten der Bevölkerung Widerstand befürchten musste.

Euthanasie angeprangert

Im Sommer 1941 erfuhr der Bischof von Klösterzwangsräumungen. Im Juli und August hielt er daraufhin in St. Lamberti jene drei Predigten, die ihm den Titel des "Löwen von Münster" einbrachten. Als fast einziger deutscher Bischof rang er sich zu öffentlichem Protest durch. Mit großer Deutlichkeit verurteilte er die Übergriffe der Nazis, protestierte gegen die Vertreibung von Ordensleuten, die "Wehrlosigkeit deutscher Staatsbürger gegenüber der Geheimen Staatspolizei", die verbrecherische Praxis der Euthanasie und die Propaganda von Joseph Goebbels für den "Vergeltungskrieg".

Am 3. August 1941 prangerte Galen den organisierten Mord an Altersschwachen und Geisteskranken an und bewirkte damit, dass die Nazis ihr EuthanasieProgramm zumindest stark einschränkten: "Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind?", so Galen: "Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den unproduktiven' Menschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden."

Die eilig und geheim vervielfältigten Predigten riefen im In- und Ausland ungeheures Echo hervor. Selbst Hitler wagte nicht, Galen vor ein Kriegsgericht zu stellen. Obgleich sein Widerstand gegen die menschenfeindliche Praxis der ns-Diktatur nie nachließ, schmerzte den Patrioten Galen der Untergang seines Vaterlandes. Auch nach Kriegsende ließ sein Engagement für die Menschen nicht nach. So prangerte er gegenüber den Besatzungsmächten deren Duldung von Vergehen gegen Menschlichkeit und Menschenrechte an. Den Begriff einer "Kollektivschuld" des deutschen Volkes lehnte er ab.

Päpstliche Anerkennungen

Am 21. Februar 1946 wurde Bischof Galen von Papst Pius XII. in Rom zum Kardinal erhoben. Nur einen Monat nach seiner triumphalen Rückkehr in die Bischofsstadt Münster starb er am 22. März 1946. Noch heute ist sein Grab im Dom das Ziel vieler Besucher und Beter, und auch der verstorbene Johannes Paul II., der Galen sehr verehrte, besuchte es 1987.

Doch wie ist es heute um Galens Bild in der Geschichte bestellt? Manche Historiker werfen ihm die moralische Unterstützung des Krieges gegen die Sowjetunion, einen strikten Antikommunismus und ein Verständnis von Nation, Demokratie und Moral vor, das in Teilbereichen durchaus mit dem der Nationalsozialisten übereingestimmt habe. Andere Historiker haben mittlerweile diese Vorstellungen widerlegt, die Galen in die Nähe nationalistischen Denkens rückten. Im Gegenteil habe der Bischof den Geist der Zeitströmungen im Dritten Reich abgelehnt und nach den von ihm als richtig befundenen christlichen Grundsätzen gehandelt, so beispielsweise der Historiker Maria Anna Zumholz.

Seiner Herkunft nach eher einem obrigkeitsstaatlichen Denken verpflichtet, habe sich von Galen aus der Kraft seines Glaubens davon befreit und erkannt, dass ein staatliches Regime, das die grundlegenden Menschenrechte missachte, nicht von Gott sein könne "und dass man diesem Regime gerade aus christlicher Überzeugung Widerstand entgegensetzen und gegen seine schreienden Menschenrechtsverletzungen öffentlich die Stimme erheben muss."

Kein "Waschlappen"

Auch der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf bezeichnet die drei berühmten Predigten gegen den Mord an Unschuldigen als "zweifellos mutigen Schritt", dem unvermindert Respekt gebühre. Wolf, der inzwischen aus vatikanischen Archiven neue Erkenntnisse gewonnen hat, vertritt die Ansicht, dass der mutige Weg Galens die beinahe logische Konsequenz der familiären Prägung, des starrsinnigen Charakters und der Erfahrungen Galens im Berlin des frühen Jahrhunderts gewesen war. Das Gewissen habe ihm schon damals als oberste Maxime gegolten, so Wolf. Stets habe sein Grundsatz gelautet, "Unrecht von jedem abzuwenden - ohne Ansehen der Person." Man dürfe kein "Waschlappen" sein, wenn man sich gemäß seinem Gewissen einsetze.

Wolf räumt allerdings ein, dass das Verhalten Galens bezüglich anderer Verbrechen des ns-Regimes nicht stringent gewesen sei. So habe der "Löwe" es an ähnlich klaren Worten gegen die Judenverfolgung fehlen lassen. Galen habe, so Wolfs Versuch einer Erklärung, aus Angst vor dem bolschewistischen System "vielleicht die Judenfrage verdrängt". Diese "historische Leerstelle" empfiehlt Wolf leise und unaufgeregt weiter zu untersuchen.

Was kann von Kardinal Galen als Vorbild bleiben?: Der wegen seiner Schwerfälligkeit oft gehänselte Clemens August hat in einer entscheidenden Stunde der Geschichte Zivilcourage bewiesen und sein Leben aufs Spiel gesetzt. Deshalb stellt die kommende Seligsprechung auch eine Verpflichtung für die Kirche dar, Anwältin der Menschenrechte zu sein - und eine Aufforderung an jeden Christen, den Mut zur Zivilcourage aufzubringen, wann immer es im Alltag erforderlich ist.

Der Autor lebt als freier Journalist in Münster/Westfalen.

Buchtipp:

Clemens August von Galen

Ich erhebe meine Stimme

Von Markus Trautmann Verlagsgemeinschaft Topos plus, Kevelaer 2005. 128 Seiten, TB, e 8,20

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