6981503-1986_12_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Löwe von Münster

Werbung
Werbung
Werbung

„Wenn einmal zugegeben wird, daß Menschen das Recht haben, .unproduktive' Mitmenschen zu töten, dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben.

Dann braucht nur irgendein Geheimerlaß anzuordnen, daß das bei den Geisteskranken erprobte Verfahren auf andere .Unproduktive' auszudehnen sei... Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher... Wehe den Menschen, wehe unserem deutsehen Volk, wenn das heilige Gottesgebot ,Du sollst nicht töten!' nicht nur übertreten, sondern sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!“

Der Bischof von Münster, Clemens August Graf Galen, wußte, was er riskierte, als er am 3. August 1941 von der Kanzel der Lamberti-Kirche in Münster in diesen Tönen gegen die gerade laufende Euthanasieaktion des NS-Regi-mes wetterte.

Es war nicht sein erster Protest, nicht der erste aus dem deutschen Episkopat, aber wohl der entschiedenste, der härteste.

Für Graf Galen bot der „Klöstersturm“ — die Aufhebung zahlreicher Klöster, um sie für Flüchtlinge freizumachen, den ersten Anlaß für seine historisch gewordenen Predigten im Juli 1941. Die umlaufenden Gerüchte über die Tötung Geisteskranker in ,JHeü-anstalten“ bestärkten ihn in seiner Meinung, dagegen auch öffentlich auftreten zu müssen, was immer die Folge sein konnte. Die Predigttexte wurden, noch bevor sie gehalten waren, vervielfältigt, sie gingen von Hand zu Hand, hinaus an die Front - Tage drauf warfen alliierte Flieger sie über ganz Deutschland ab.

Die Parteibonzen schäumten, wollten Galen hängen sehen. Aber Josef Goebbels, Hitlers Propagandaminister, wollte die „Rache kalt genießen“. Nach dem Endsieg würde Abrechnung gehalten. Dabei würde nichts vergessen, versicherte Hitler selbst.

Aber es kam anders. Münster fiel unter den Bomben in Trümmer. Der Bischof erlebte den Einmarsch der Amerikaner im Ausweichquartier auf dem Land -und während noch im übrigen Deutschland die letzten Kämpfe tobten, wandte er sich an die Sieger und protestierte gegen ihre Ubergriffe gegen die Zivilbevölkerung.

„Von Galen hat die Alliierten nie als .Befreier' angesehen“, erinnert sich Wilhelm Wöste, heute Weihbischof in Galens Diözese, damals junger Kaplan. „Sie waren die Sieger, wir die Besiegten, und wie er vorher die Menschen gegen die NS-Behörden verteidigt hatte, so nun gegen die Sieger.“

Ein Jahr später - Frühjahr 1946.

Papst Pius XII. hatte den Erzbi-schof von Köln, Josef Frings, sowie die Bischöfe von Berlin — Konrad Graf Preysing - und von Münster, Graf Galen, zu Kardinälen erhoben, um ihre Widerstandstätigkeit auszuzeichnen. Am 18. Februar war die feierliche Zeremonie im Vatikan abgelaufen. Wenige Tage später besuchte Galen ein Schweigelager deutscher Kriegsgefangener in Süditalien.

Den Insassen — Angehörigen von Polizei und SS-Einheiten -war erklärt worden, von ihnen würde niemand heimkommen. Sie durften nicht einmal schreiben.

Der Kardinal sprach mit ihnen, vor allem mit den Landsleuten aus dem Münsterland, erinnert sich 40 Jahre später der pensionierte Polizeibeamte Heinrich Kreitz in Kaiserslautern. Dann meinte er: „Versprechen wir uns doch, daß der Nächste von uns, der stirbt und beim Herrgott ankommt, ein gutes Wort für alle andern einlegt. Der nächste werde wahrscheinlich ich sein. Auf mich könnt ihr euch verlassen.“

Am 18. März zog Galen umjubelt in Münster ein, zelebrierte sein einziges Pontifikalamt als Kardinal - und erlag vier Tage später einem Blinddarmdurchbruch. Die Männer im Lager erfuhren dies Anfang April.

„Etwa fünf Tage später bekam jeder von uns eine Karte, und wir durften unseren Angehörigen schreiben“, berichtet Kreitz. „Und wieder einige Tage später wurden wir entlassen. So ziemlich alle sagten: ,Der hat Wort gehalten!'“

Der ORF bringt am Dienstag, 25. März, um 21 Uhr im Programm Osterreich 1 eine Würdigung des Kardinals Galen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung