ALTERNATIVE TIERETHIK IST GEFRAGT

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Unter dem Slogan "Alle Tiere sind gleich!" argumentiert der Philosoph Peter Singer, dass empfindungsfähige Wesen moralische Rücksicht verdienen, egal ob es Menschen oder Tiere sind. Wenn empfindungsfähige Menschen schutzwürdig sind, sind es auch empfindungsfähige Tiere. Doch worin besteht nun diese Gleichheit und wie wird sie festgestellt? Obwohl das Gleichheitsprinzip als zentrale Basis bereits in den 70er-Jahren kritisiert wurde, konnte es sich als dominantes Paradigma der Tierethik durchsetzen. Die Kritik von damals erlebt heute eine Renaissance. Sie zielt darauf ab, die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren hinsichtlich der Moral kenntlich zu machen. Und sie stellt die biologische Nivellierung zwischen Menschen und Tieren infrage. Dafür gibt es gute Argumente.

Erstens geht jeder ethischen Reflexion die Praxis voraus und nicht umgekehrt. Die tierethische Debatte spielt sich in einer Gesellschaft ab, in der praktisch große Unterschiede zwischen Menschen und Tieren gemacht werden. Nicht zuletzt unsere Essgewohnheiten machen das deutlich. Neben all den biologischen Gemeinsamkeiten bleibt diese Praxis doch der Ausgangspunkt mit einem zentralen Unterschied zwischen Menschen und Tieren: Nur als Menschen fordern wir wechselseitig von uns, moralische Verantwortung zu übernehmen.

Zweitens lässt sich kritisieren, moralisches Wissen mit der naturwissenschaftlichen Vorstellung von

Wissen gleichsetzen zu wollen: Moralische Einsichten würden etwas zu Tage fördern, was in einer subjekt-unabhängigen Wirklichkeit zu finden wäre. Wissen unabhängig von Menschen vorzustellen, die dieses Wissen generieren, ist schwer vorstellbar. Drittens ist eine Ausweitung der moralischen Gemeinschaft von Menschen auf Tiere aufgrund von Gemeinsamkeiten zu hinterfragen. Diese Ausweitung bleibt eine Suche nach menschlichen Eigenschaften in Tieren und führt zu einem verkappten moralischen Anthropozentrismus: Nur menschenähnliche Tiere haben Chance auf moralische Rücksicht: große Menschenaffen weit eher als eine Schnecke.

Viertens bekommt Singers Argumentation Schwierigkeiten, wenn man ihn mit der moralischen Praxis abgleicht. Säuglinge, kognitiv beeinträchtigte Menschen, Demente müssten in der Moral aufgrund ihrer eingeschränkten Fähigkeiten auch weniger schwer gewichtet werden. Das Gegenteil ist der Fall: Missbrauch und Gewalt gegen weniger befähigte Menschen werden moralisch als ungleich problematischer erfahren, wie unlängst drastisch zu beobachten war, als ein junger Japaner in einem Behindertenheim lebende Menschen ermordete. Fünftens kann Singers Ansatz nicht erklären, weshalb ein Veganer keine vom Blitz erschlagenen und empfindungsunfähigen Wesen (auch Menschen!) essen sollte. So argumentiert etwa der Philosoph Gary Steiner strukturell ähnlich wie Singer, dass empfindungsfähige Tiere nicht gegessen werden sollen. Als Veganer isst er aber auch keine Muscheln, obwohl er denkt, dass sie keine Schmerzen empfinden.

Ein alternatives Konzept der Tierethik ist somit gefragt: Wichtig ist dabei, ob der alleinige Fokus auf die biologischen Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier nicht gerade die Voraussetzung der moralischen Achtung von Tieren erodiert, wie es Cora Diamond und ihre Nachfolgerinnen argumentieren.

Der Autor ist Prof. für Ethik der Mensch-Tier-Beziehung an der Vetmed Uni, der Meduni und der Uni Wien

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