Hätte man nicht Eugen Bisers Opera hinter sich im Regal stehen, fiele es einem leichter, einen der bedeutendsten Theologen deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts zu würdigen. Hätte man sich nicht seiner Freundschaft erfreut, könnte man sachlich seine Themen abhandeln.
Nun hat Biser mit 96 Jahren den Zirkel geschlossen, den er als Philosoph und Theologe schlug. "Der Gott, der alles sah, auch den Menschen: Dieser Gott musste sterben. Der Mensch erträgt es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.“ Dieses Zitat Friedrich Nietzsches aus dem "Zarathustra“ taucht immer wieder auf, wie Nietzsches Kritik des Christentums Biser immer wieder zu neuem Anlauf der Auseinandersetzung reizte: War er "Gottsucher oder Antichrist?“ Viel Grundsätzliches ist in diesem Band zu finden, doch die großen Arbeiten von der "Glaubensgeschichtlichen Wende“ als einer theologischen Positionsbestimmung, "Glaubensverständnis“, eine Fundamentaltheologie, "Der Mensch - das uneingelöste Versprechen“ in all diesen Büchern ebenso wie in der "Einweisung in das Christentum“ dreht Eugen Biser das alte Verständnis vom Rächer und Strafenden um zum liebenden, verzeihenden Gott.
Friede - Grundlage einer Lebensordnung
Was Bisers heiligen Zorn entfachte, war die Tatsache, dass die römische, seine Kirche, nicht imstande war, den Kairos, den großen Augenblick der weltpolitischen Wende im Fall der Mauer in der schier unglaublichen spirituellen, heilsgeschichtlichen Dimension zu verstehen. Wenn er sagte, Friede sei kein Gegenprinzip zu Unfrieden oder Krieg, sondern die einzig sinnvolle und zulässige Grundlage einer menschlichen Lebensordnung, so hätte das bescheidene Bändchen "Er ist unser Friede“ wohl verdient, Thema von Seminaren und Vorlesungen zu werden.
Eugen Biser war ab 1974 Nachfolger von Karl Rahner auf dem Romano-Guardini-Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie in München. Er wollte weg von der Reduzierung der Religion auf die Moral und hin zu einem therapeutischen Christentum und, in Fortsetzung von Rahners These, den Christen der Zukunft als Mystiker sehen. Er wollte die Ängste der Menschen auflösen, indem er die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz zeigte und die rettende Gegenbewegung anbot: Noch heute wirst du bei mir im Paradies sein. (Franz Mayrhofer)
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