Lebenslang heimatlos Fremd in unserer Mitte

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Zwei Romane über Fremdheit inmitten unserer Gesellschaft.

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Zwei Romane über Fremdheit inmitten unserer Gesellschaft.

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Zwei Bücher, die mit ihren Titeln und ihrem ganzen Auftreten auf höchst unterschiedliche Art um Aufmerksamkeiten werben, stehen unter einem stummen gemeinsamen Obertitel: Fremdheit in unserer Gesellschaft.

"Hurensohn" des Grazer Autors Gabriel Loidolt, geboren 1953, ist die Geschichte eines Zwanzigjährigen am Rand der Grazer Rotlichtszene. Fremd ist da einer schon von allem Anfang an - ethnisch, sozial, vom Typus her. Die fesche kroatische Mutter läßt das "Unfallkind" lieblos-verwöhnt so nebenher, neben ihrem "Kunstgewerbe", aufwachsen. Zwar baut er sich als Schlüsselkind sein eigenes Leben auf. Im klugen Großonkel findet er den Ersatzvater, mit einer Jungenfreundschaft hat er instinktsicher Glück, die Sonderschule durchläuft er glatt, sein Geld verdient er im Bordell als Aufputzer. Auch durch die Pubertät laviert er sich unbeschädigt mit der ihm eigenen Sauberkeit. Der Fremdkörper kann mitschwimmen in der Gesellschaft, möchte man meinen. Doch die Umgebung sieht nur seine fremde Hautfarbe, "unter normalen Menschen ist man als außernormaler Mensch ein Fremder, das ist eine herzzerreißende Tragödie". Die Gleichaltrigen belegen den Hurensohn und Tschuschen mit Spott, als brauchten sie den Reibe-Fremden, um sich selbst heimisch zu fühlen. Dagegen kommt ein einzelner nicht an. So staut er die Zurückweisungen in Fettpolstern, beantwortet die fehlende Ansprache mit Stottern, schützt seine Sensibilität durch Phlegma.

So eskaliert Entfremdung: Die nachbar- und verwandtschaftliche Umwelt hat, wie sie meint, ihren Idioten, und, wie es fast kommen muß, auch ihren Kriminellen. Durch einen Unfall, den er selbst herbeiführt, kommt die Mutter zu Tode. Schuldgefühl und Angst vor Sippenrache treiben ihn an den Rand des Selbstmords. Da aber, wie auch schon früher, greift der Autor ihn in Schutz nehmend ein. Er zeigt die liebenswürdige Innenwelt des Jungen, seine Immunität gegen die Infektionen des Milieus, die Standfestigkeit des von Einsamkeit Gebeutelten. Die Vielfachfremdheit hat ihn abgehärtet, ohne ihn hart zu machen. Der Autor übersetzt die Innen-Bilder, die durch die Sehschlitze des Fast-Autisten eingehen, in die Außen-Sprache. Wir sehen uns dabei vom scharfen Blick des Fremden erkannt, doch unser Spott wird nicht gespiegelt, der Fremde mag uns, nicht nur, weil er uns braucht.

Das Ende ist zwar offen, aber alles ist auf guten Ausgang angelegt. Man kann hoffen, daß der Junge überlebt. Durch die Fürsprache des Autors werden die "Eingeborenen" dem Fremden vielleicht zugänglicher. Dafür spricht auch der Erfolg des Buches. "Hurensohn" ist auf dem Weg zum Bestseller.

Weniger optimistisch ist einem zumute bei "Trilogie". Der in Bern lebende Autor Francesco Micieli, geboren 1956 in Süditalien, hat Fremdheit zum Lebens- und Familienthema. Seine albanischen Vorfahren waren schon in den Türkenkriegen nach Kalabrien geflohen und existieren seither dort als Minderheit. Das Buch bringt drei Geschichten, die autobiographisch drei Stadien der Fremdwerdung schildern: Das Tagebuch des Kindes, das in den sechziger Jahren von den Gastarbeitereltern in die Schweiz mitgenommen wird; der Überlebenskampf seiner Mutter dort; schließlich die Heimreise des Dreißigjährigen mit dem Vater zur Beerdigung der Mutter. Die Darstellung ist eine Überlagerung der eigenen Auswanderergeschichte mit anderen, die Schicksale sind stereotyp: Der Mann zuerst allein, dann die nachziehende Familie, Arbeitsunfälle, Verlassenheit, die Kinder als Stütze, die nie wieder auffindbare Heimat: "Wir haben alle die gleiche Geschichte."

Micieli analysiert nicht, lamentiert nicht, klagt nicht an. Er zeigt Ausschnitte der neuzeitlichen Völkerwanderung gleichsam fotografisch-kommentarlos, vergrößert Unterthemen der Fremdheit heraus: Wie die Enge zu Hause, die Familientyranneien, oder das Elend überhaupt die Wanderungen auslösen. "Als Albaner sind wir vor den Türken geflohen, als Italiener vor der Armut." Wie das Wort Auswanderung ein Euphemismus ist für Vertreibung. Wie die Fremdheit die Menschen im scheinbar Nebensächlichen belastet: bei Reisen die permanente Angst vor den Grenzen, überfüllte Züge als Greuel, mit ihrer Erinnerung an Armut und Emigration. Wie der von gutmeinenden Einheimischen Eingeladene nur "Vorzeigefremder" bleibt. Und wie Rückkehr letztlich dann nicht möglich ist, weil nach dem "Sparen bis zur Pensionierung" die Heimat zwar "zurückzukaufen", aber nie mehr die ersehnte Heimat ist.

Natürlich ist nicht nur Bedauerliches zu berichten. Nicht mehr hungern zu müssen oder "ein eigenes Bett für sich" schafft eine Grunddankbarkeit. Und manchmal sind in der neuheimatlichen Subkultur der Fremden Starkarrieren möglich, etwa die eigene als Schriftsteller, oder die des Daniel Cohn-Bendit, der als Jugendlicher einige Zeit im gleichen Dorf Furore machte und mit dem Autor in Verbindung war.

Aber doch trifft ihn die Verfremdung im Innersten, in der Sprache. Albanisch, die Muttersprache, kann er nicht schreiben, Italienisch ist ihm die "Stiefmuttersprache", Schweizerdeutsch sprechen die Arbeitgeber mit ihm, Deutsch wird die Fremdsprache, in der er schließlich Bücher schreibt. Denken ist nach Wittgenstein nur in der Sprache möglich. In welcher Sprache denke ich, fragt er, welche Sprache versteht Gott?

Fremdheit multikulturell zu überwinden, will einem nach der Lektüre scheinen, ist wohl eine Illusion, wie es auch im "Vielvölkerstaat" eine war. Fremdheit wird bleiben, nur wünscht sich Micieli eine "heimatliche Fremde", mit der er, bescheiden, durchaus zufrieden wäre.

HURENSOHN Roman von Gabriel Loidolt Fest Verlag, Berlin 1998 155 Seiten, geb., öS 263,- TRILOGIE Drei Texte von Francesco Micieli Zytglogge Verlag, Bern 1998 296 Seiten, geb, öS 314,-

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