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Abschied von den gepeitschten Sklaven

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Zwei interessante und schöne Rücher für Ägypten-Fans - derzeit für manchen vielleicht Lektüre nicht vor, sondern statt einer Reise. In „Das alte Ägypten” (Frederking und Thaler) faßt David P. Silverman, Professor und Museums-Kurator in Pennsylvania, alles zusammen, was zu den Grundlagen eines seriösen ägyp-tologischen Allgemeinwissens gehört. Mit vielen herrlichen Bildern. Ein passendes Weihnachtsgeschenk.

Nach wie vor weiß niemand, auf welche Weise die Ägypter den Bau ihrer Pyramiden fertiggebracht haben. Doch was man darüber weiß, und auch exakte Information darüber, was man nicht weiß, findet man bei Mark Lehner in: „Das Erste Weltwunder” (Econ). Lehner ist Ägyptologe, Engländer - bei uns haben ja Fachleute, die sich so verständlich, ja spannend auszudrücken verstehen, höchsten Seltenheitswert.

Vor wenigen Jahrzehnten wurde gerätselt, wie man wohl die schweren Steinblöcke überhaupt in die Höhe brachte. Dies gilt heute als weniger schwierigere Frage, verglichen mit den Problemen, die sich für die Bauleute dadurch ergaben, daß sie mit dem Baufortschritt der sich nach oben verjüngenden Steinmonster auf der immer kleineren Arbeitsplattform auch immer weniger Platz hatten.

Darüber, daß die Steinblöcke über Rampen in die Höhe geschafft wurden, herrscht einigermaßen Einigkeit. Doch gibt es keinerlei Hinweis darauf, wie sie ausgesehen haben könnten. Zwei Ansichten streiten gegeneinander: Die Theorie der in gerader Linie in die Höhe führenden und die Theorie der sich spiralenför-mig um den Körper der Pyramide windenden Rampe.

Die alten Ägypter verfügten über äußerst subtile, ausgeklügelte Meßmethoden, die es möglich machten, daß sich die Seitenflächen der Pyramiden tatsächlich genau an einem Punkt, an der Spitze, trafen. Doch das genaue Aufsetzen der obersten Steine ist ein Problem, das sich nicht einmal mit heutigen Mitteln ganz leicht lösen läßt (außer, man würde einen Hochkran herbeischaffen).

Um diese Fragen einer Klärung näherzubringen, bildete Mark Lehner aus einem amerikanischen Steinmetz und einer Gruppe ägyptischer Maurer, Steinbrecher und Arbeiter ein Team, das die Annahmen der über den Pyramidenbau theoretisierenden Fachleute, der „Lehnsessel-Pyrami-denbauer”, wie Lehner sie boshaft nennt, in der Praxis erproben wollte. Da der TV-Kanal NOVA die Arbeiten dokumentierte, ging das ganze Unternehmen als NOVA-Experiment in die Geschichte ein.

Die selbstgestellte Aufgabe bestand darin, im Schatten der Cheops-Pyra-mide eine kleine Pyramide zu errichten, wobei das Team unter einem beträchtlichen, von den Fernsehleuten erzeugten Termindruck stand. Daher wurden Stahlwerkzeuge benutzt, wo den antiken Bauarbeitern nur Holz, Stein und Kupfer zur Verfügung standen. Im merhin zeigte sich, daß sich bis zu zweieinhalb ' Tonnen schwere Steinblöcke ohne weiteres durch Wälzen fortbewegen lassen - wenn man weiß, wie man dabei vorzugehen hat.

Um aber den schieren Steinbedarf für eine Pyramide in der Lebenszeit eines Pharao herbeischaffen zu können, müssen effizientere Methoden angewendet worden sein. Holzschlitten auf Rollen erwiesen sich als sehr brauchbar, erforderten aber nicht nur

Kraft, sondern auch viel Geschicklichkeit beim Beladen und beim Wechsel der Rollen unter einem mit Schwung und daher schnell gezogenen Schlitten. Jede Ungeschicklichkeit führte zum Schleudern und leicht auch zum „Entgleisen”. Das NOVA-Experiment bestätigt die Ansicht, daß beim Bau der Pyramiden wohl, wenn überhaupt, viel weniger gepeitschte Sklaven als bisher angenommen, und dafür viel mehr erfahrene, hochmotivierte Leute benötigt wurden. Eine Vorstellung, von der man sich verabschieden muß - worauf der Physiker Mendelssohn schon vor Jahrzehnten hingewiesen hat.

Das Aufsetzen des Schlußsteins war sehr riskant. Wohl auch in der Antike. So daß es auch Mark Lehner für möglich hält, daß gewisse Ungenauigkei-ten in diesem Bereich nicht im Lauf der Jahrtausende, sondern bereits beim Bau entstanden sein könnten.

Die Bücher ergänzen einander. Beide sind mit großer Sorgfalt ausgestattet und attraktiv in Farbe bebildert.

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