Pracht aus 1001 Nacht

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Islamische Kunst der fatimidischen Kalifen von Kairo.

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Islamische Kunst der fatimidischen Kalifen von Kairo.

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Die Herrscher leben in Saus und Braus, das Volk darbt - das kann auf Dauer nicht gutgehen. So auch im Ägypten des 11. nachchristlichen Jahrhunderts: Schon seit einigen Jahren waren die rauschenden Feste des Kalifen von Kairo und seines Hofes von hungernden Soldaten abrupt beendet worden: Ganze Kompanien verwahrloster Krieger waren während Festgelagen in des Herrschers Märchenpalast eingedrungen, hatten Gäste und Würdenträger verjagt, sich über das reiche Büffet hergemacht und die Reste zu ihren Familien nach Hause mitgenommen. 1068 jedoch, in einem Jahr von Hungersnot, Teuerung und Anarchie, plünderte eine entfesselte Soldateska gleich die prall gefüllten Schatzkammern und Magazine des Kalifen al-Mustansir. Die Märkte und Bazare des gesamten Mittelmeerraumes waren alsbald von unschätzbaren Kostbarkeiten überschwemmt, die weit unter ihrem Wert verschleudert wurden.

Infolge jener Plünderung, aber auch als Kriegsbeute, herrscherliche Geschenke und legal erworbene Mitbringsel, gelangten viele Kunstwerke aus der Zeit der Fatimiden, die von 969 bis 1171 Ägypten und weite Teile des Orient beherrschten, in abendländische Schatzkammern - und überdauerten dort unbeschadet den Lauf der Zeit. Vor allem in italienischen Kirchenschätzen finden sich zahlreiche Relikte jener Ära, die damals allerdings christlichen Zwecken zugeführt wurden: Bergkristall- und feine Glasgefäße fanden als Reliquienbehälter Verwendung, Elfenbeinkästchen und kostbare Textilien dienten zum Schutz anderer geheiligter Objekte. Auch das "Schreibzeug des heiligen Leopold", das zum ältesten Besitz des Stiftes Klosterneuburg gehört, stammt aus der Zeit der Fatimiden. Zusammen mit anderen Preziosen und archäologischen Funden ist jene Elfenbeinschatulle derzeit in der Sonderausstellung des Kunsthistorischen Museums "Schätze der Kalifen - Islamische Kunst zur Fatimidenzeit" im Künstlerhaus zu sehen.

Die schiitischen Fatimiden waren eine der erfolgreichsten und glänzendsten Dynastien des Islam. Die Familie führte ihren Stammbaum direkt auf den Propheten Muhammad zurück: Als angebliche Nachkommen Fatimas - der Tochter Muhammads - und ihres Gemahls Ali beanspruchten die Fatimiden das Kalifat, die Nachfolge des Propheten; das heißt: die weltliche und die geistliche Führerschaft der islamischen Welt. Eine Zeit lang stellten die Fatimiden eine ernsthafte Gefahr für das sunnitische Kalifat von Bagdad dar, das damals die nicht minder glänzende Dynastie der Abassiden (749 bis 1258) innehatte. Für ein Jahr lang (1058 und 1059) bekamen die Fatimiden sogar Gewalt über das verhaßte Bagdad, aber kurz darauf setzte der Niedergang ein. Im Jahr 1171 erklärte Salah al-Din, hierzulande als Saladin geläufig, den letzten Fatimidenkalifen für abgesetzt.

Die zweihundertjährige Herrschaft der Fatimiden stellt in der Geschichte des islamischen Ägypten einen glanzvollen Höhepunkt dar. Unter ihrem Kalifat stieg Ägypten zu einem der reichsten Länder und das von ihnen gegründete Kairo (al-Qahira, "die Siegreiche") zur glänzendsten Metropole der islamischen Welt auf.

Unter den Fatimiden wurden zahlreiche Moscheen erbaut: die al-Hakim-Moschee (1013 vollendet) und die al-Azhar-Moschee (972 vollendet) in Kairo sowie die architektonisch wesentlich feineren Moscheen von al-Aqmar und Tala'i'ibn Ruzziq. Von den prunkvollen Palästen der Fatimiden ist keiner erhalten, jedoch dürfte es sich um Traumschlösser wie in den Märchen von Tausendundeiner Nacht gehandelt haben: kunstvoll geschnitzte Friese, Paneele aus Marmor und Stuck, Wandbemalungen und -behänge, Springbrunnen - alles in allem eine schillernde Farbenpracht.

Die Produktion von Keramik, Glas, Textilien und Gegenständen aus Elfenbein blühte, die Bearbeitung von Bergkristall - der als kostbarster aller Steine galt - und die Holzschnitzkunst erreichten eine noch nie dagewesene Qualität. Die Technik des Druckes, die in Europa Jahrhunderte später eingeführt wurde, war unter den Fatimiden weit verbreitet. Auch eine Bibliothek, die einen großen Teil des damaligen Wissens in Buchform beherbergte, nannten die Fatimidenkalifen ihr eigen (auch dieser Schatz wurde von marodierenden Soldaten zerstört).

Ein Nachleben führte die fatimidische Kunst im normannischen Königreich Sizilien. Von ungefähr 900 an bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts hatte die Insel zum Herrschaftsgebiet der Fatimiden gehört. Als die Normannen die Insel eroberten, übernahmen sie zwar die politische Macht, doch die Bedeutung der arabischen Kultur, Sprache und Wissenschaft blieb ungebrochen. König Roger II., der bedeutendste normannische Herrscher Siziliens, bevorzugte bei seinen zahlreichen weltlichen Bauten islamische Formen. Die Holzdecke der Kapelle seines Palastes ist im muslimischen Stil gehalten - übrigens das einzige bedeutende Zeugnis der damaligen islamischen Malerei - und enthält sogar Segenswünsche in kufischer Schrift, der Monumentalschrift des Arabischen.

Auch der sogenannte Krönungsmantel Rogers II. wurde in Palermo 1133/34 hergestellt. Die in Seide und Gold ausgeführten Stickereien zeigen eine Raubkatze die ein Kamel angreift - ein uraltes Motiv im Orient - und zählen Rogers Titel auf arabisch in kufischer Schrift auf. Der samtrote Mantel wurde ab dem 13. Jahrhundert wichtigster Bestandteil der Krönungsgewänder der Könige und Kaiser des heiligen Römischen Reiches. Am Ende des 18. Jahrhunderts gelangte er nach Wien, wo er heute in der weltlichen Schatzkammer aufbewahrt wird.

Bis 21. Februar 1999 Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien.

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