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Anne Hahns Romandebüt ist ein Aufbruch.

All diese schreibenden "Ossi-Frauen"! Soll man sich von Sybille Berg die schlechte Welt erklären lassen? Ist Julia Franck nicht ein wenig vulgär? Und Juli Zeh nicht eine Spur zu langatmig?

So viel Zufall

Macht nichts - wir greifen zum Roman der Magdeburgerin Anne Hahn, die bei Schirmer-Graf ihren Erstling "Dreizehn Sommer" vorlegte. Der Zufall muss, so heißt es bei Nestroy, ein "besoffener Kutscher sein - wen der alles zusammenführt! Auch in Anne Hahns Debütroman legt er sich mächtig ins Zeug. Zwei der drei Protagonistinnen, Mo und Nina, werden im selben Gefängnis landen, weil sie unabhängig voneinander der Republik den Rücken kehren wollten.

Doch beginnen wir beim Anfang: Im Jahre '86, als die drei Freundinnen noch Teenager waren und die Sommer in Magdeburg noch so aussahen: "Links liegt der Konsum Ratswaage, wo ich das Klauen trainiere, seit ich mit zehn das erste Brausepulvertütchen unter einem Brot herausgeschmuggelt habe. Dann folgt das Erich-Weinert-Denkmal. Der schmale Durchgang zum Alten Markt ist menschenleer. Erst neben dem Lichtspielhaus Theater des Friedens stehen zwei alte Männer. Sonst ist der Marktplatz verwaist. Kaiser Otto zu Pferd mit den flankierenden Maiden wacht über die Pflastersteine. Schräg gegenüber grinst Eulenspiegel von seinem Brunnen. Das Pflaster dampft den Tag aus."

Klare Bilder

Man merkt es schon nach den ersten Seiten deutlich: Dieser Roman lebt von der Fähigkeit der Autorin, Stimmungen einzufangen und sie in klaren, einfachen Bildern widerzugeben.

So sehr auch die politische Wirklichkeit das Leben dieser drei jungen Frauen prägt, so wenig läuft der Roman Gefahr, diese seinen Figuren überzustülpen. Im Vordergrund stehen die Versuche dreier völlig verschiedener junger Frauen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Da ist Katrin, die linientreue und ehrgeizige Architekturstudentin, die sich nach der Wende umso bereitwilliger dem Kapitalismus andient. Da ist Mo, die verträumte, fragile Kindfrau, die in die Psychiatrie eingeliefert wird, weil sie dem Druck des DDR-Regimes nicht standhält. Und da ist die Hauptfigur Nina, die spontane, wagemutige Krankenschwester, die ihren gelernten Beruf hinwirft, um im Kulturkabinett Rockkonzerte zu organisieren. Als sie ein paar Punks mit Irokesen-Frisur auf die Bühne bringt, ist sie ihren Traum-Job schnell wieder los.

Wohltuend unambitioniert

Schräge Kneipen, wechselnde Freunde, bröckelnde Fassaden - das ist das Inventar dieses Romans, in dem es sich einrichten lässt. Anfangs geht's im Trabbi nach Halberstadt, am Ende, kurz vorm dreizehnten Sommer, mit der Vespa nach Fiesole. Dazwischen liegt eine Fülle an Lebensgefühl und Perspektiven, in der für Botschaften kein Platz ist. Wohltuend unambitioniert kommt dieser Roman daher. Dass sich die drei Mädchen am Ende auseinander entwickelt haben, nimmt ihm nichts von seinem Schwung und seiner Zuversicht. Und dass Anne Hahn sprachlich schon mal über die Stränge schlägt, die Sterne funzeln statt leuchten lässt, passt zur Lebensnähe, aus der dieses Buch geschrieben ist.

Der Mut zu spontanen Gefühlen und die emotionale Kühnheit findet sich bei Anne Hahn wieder. Ein Roman, der von Stimmungen lebt und ein Roman des Aufbruchs - wohin dieser auch führte und führen mag.

Dreizehn Sommer

Roman von Anne Hahn

SchirmerGraf Verlag, München 2005 327 Seiten, geb., e 19,40

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